Dream Theater - A Dramatic Turn Of Events (2011)

02.09.2013 12:53

Veröffentlichung: 2011

Genre/ Stil: Progressive Metal; Progressive Rock

 

Besetzung:

James LaBrie - Gesang

Jordan Rudess - Keyboards

John Petrucci - Gitarre

John Myung - Bass

Mike Mangini - Drums

 

Titelliste:

1. On The Backs Of Angels

2. Build Me Up, Break Me Down

3. Lost Not Forgotten

4. This Is The Life

5. The Shaman's Trance (Bridges In The Sky)

6. Outcry

7. Far From Heaven

8. Breaking All Illusions

9. Beneath The Surface

 

John Petrucci & co hatten in der Tat Recht, als sie sagten, das neue Album ergäbe ein Ganzes und erzähle durch einen Achterbahn-auf-und-ab-artigen Aufbau und Spannungsbogen eine Art Geschichte. A Dramatic Turn Of Events ist ein Album, das – und das soll nicht abwertend klingen – in gewisser Weise auf Nummer sicher geht, einfach, weil es in Sachen Härte, Abgefahrenheit, Produktion und Instrumentierung generell sehr ausgeglichen ist und dadurch so kompakt wirkt wie für mich kein Album seit Octavarium mehr. Okay, schon wieder so ein Vergleich à la „Kein Album mehr seit...“ – aber was will man auch anderes sagen, Dream Theater machen seit ihrem ersten Album Musik in einer eigenen Liga, in einer eigenen Welt und lassen sich auf lange Strecken schlecht mit anderen Bands vergleichen (tapsig-sympathische Anklänge an Muse oder Metallica auf Systematic Chaos ausgenommen). Und so ist - wie soll es auch anders sein – auch Dramatic Turn ein typisches Dream Theater Album geworden, anders als das vorherige Black Clouds & Silver Linings , aber Images & Words vielleicht nicht unähnlich, und generell mal wieder 90er-Dream-Theater-lastiger, aber trotzdem einzigartig und so noch nie dagewesen – obwohl man in den oben genannten Faktoren wie gesagt weniger experimentierfreudig oder gar waghalsig zugeht. Und damit wären wir beim eigentlich einzigen Knackpunkt, und denkt nicht, dass ich vergessen hätte, das zu erwähnen: Genau- Mike Portnoy ist nicht mehr da!
Ich bin ein sehr großer Fan von Portnoys Schlagzeugspiel und ich habe auch absolut nichts gegen seine abgefahrene Art und seine hin und wieder kindlich-übertreibenden Aussagen in Interviews. Ein Schlagzeuger kann natürlich für das Schlagzeugspiel eines Portnoys einspringen (wenn es auch nicht ersetzen), aber einen solchen zweiten sympathischen Witz- und Hitzkopf hinter der riesigen Schießbude findet man natürlich nicht. Versteht mich nicht falsch, ich mag auch Manginis Art und sein Spiel sehr, aber ich habe bewusst bis jetzt auf ein Stück Musik gewartet, bei dem Mangini im Schreibprozess etc. eingebunden ist, bevor ich mir ein Urteil über ihn erlaube. Und mit diesem Stück Musik meine ich die am 5. August 2013 erschienene Single The Enemy Inside. Denn auf ADTOE spielt Mangini schon ziemlich verhalten, was zur Folge hat, dass man über ihn einzig und allein sagen kann, dass er ein Musiker ist, der sich auch mal zurückhalten und genau das spielen kann, was ihm gesagt wird (etwas, das man als Musiker können sollte). Ob er auch kreativ ist, wird sich mit dem neuen selbstbetitelten Album noch herausstellen, hat sich mit der besagten Single allerdings bereits angedeutet. Dass der Kerl Schlagzeug spielen kann steht natürlich außer Frage.

Gut, gehen wir es an. Der Opener On The Backs Of Angels war im Voraus als Single bekannt. Mir gefiel der Song auf Anhieb, und er hat sich bis heute nicht abgenutzt. Ein Intro von insgesamt 6 übereinandergelegten Gitarren steigert sich mit Schlagzeug und Keyboard hoch, bevor der Ausbruch zum ersten Riff kommt. Sehr geil, ein starker Einstieg. In der Mitte findet sich ein schöner Klavier-Part; aha, Rudess darf also wieder mehr in den Vordergrund. Und apropos Vordergrund: Myung ist auch mal wieder richtig zu hören. Am Ende steigert sich der Song noch einmal mit choralartigen Keyboardteppichen, Bratzriffs und energiegeladenen Kicks. Der Song ist vielleicht irgendwo zwischen The Root Of All Evil und Pull Me Under einzusiedeln- gefällt mir sehr gut.
Build Me Up, Break Me Down geht etwas mehr in die Falling In To Infinity Richtung. Eine Drummachine leitet in ein tiefes 7-Saiter Riff über. Danach ein relativ trockener Vers. In den recht simpel gestrickten Song ist ein kurzes Gitarrensolo und ein recht gut gelungener, zäher Teil mit Riffgematsche und Psycho-Chor (der mich persönlich manchmal etwas an Rammstein zu Reise, Reise Zeiten erinnert) eingebettet. Das Lied ist okay, wird aber in der Tat von einem guten, recht einprägsamen Refrain gerettet.
Hufgetrappel und Windgeräusche leiten nahtlos zum ersten 10-Minüter des Albums über, Lost Not Forgotten. Von Aufbau erinnert dieser Song, wie von vielen Rezensenten und Kritikern im Internet bereits sehr richtig bemerkt, in der Tat an Under A Glass Moon. An dieser Stelle könnte man sich erstmals der Image-&-Words-Klon-Problematik hingeben, wo ich doch den Opener bereits irgendwo zwischen The Root Of All Evil und Pull Me Under eingereiht habe. Ich komme aber erst später dazu. Wie auch immer, Lost Not Forgotten beginnt mit dem schönen Hauptthema, das erst vom Klavier gespielt wird (sehr schön!), dann von der kompletten Band, inklusive Oktavparallelen in der Gitarrenstimme (Vgl. Under A Glass Moon). Dann wird etwas gebolzt und und eine Weile gefrickelt. Jetzt darf auch LaBrie zu Wort kommen. Sehr mächtige Worte wie „a powercraving tyrann“ oder „I am the one who will not die“ werden unterstützt durch kraftvolle Siebensaiter-Riffs. Der Refrain gefällt mir dann auch sehr gut; sehr hymnisch, aber auch verspielt. Dann kommt der obligatorische Soloteil. Erst Kicks, typische Rudess-Fills, bevor Petrucci eins seiner schönen Soli spielen darf. Nachdem auch Rudess seinen Solobeitrag geleistet hat, gibt es noch ein paar atonale Arpeggien, bevor es dann wieder in den Refrain und schlussendlich in die Grundthemenreprise geht.
Also, ihr könnt mir sagen was ihr wollt; der Aufbau hat zwar grundlegende Ähnlichkeit mit dem von Under A Glass Moon, aber trotzdem reden wir hier von einem komplett anderen Song. Es herrscht eine komplett andere Stimmung als bei dem Song von Images & Words. Und ich muss auch ehrlich sagen, dass mir Lost Not Forgotten bald besser gefällt als Under A Glass Moon. Aber zugegeben, letzteres beinhaltet definitiv das bessere Solo.
Wenn man der Image-&-Words-Klon-Problematik weiter folgen mag, könnte man This Is The Life mit Another Day vergleichen. Das halte ich allerdings für völligen Quatsch, denn diese beiden Songs haben so wenig gemeinsam wie ungefähr Octavarium und In The Presence Of Enemies. Meiner Ansicht nach gewinnt aber This Is The Life den Vergleich. Another Day war eine typische 90er-Ballade, die nicht unbedingt von Dream Theater hätte stammen müssen. This Is The Life ist eine typische Dream Theater Powerballade mit einem – ich sags gradewegs hinaus – bewegenden Text, einem komplexen Aufbau, interessanter Harmonik und einem tollen Finale. Ich hab den Text später noch mal für mich wiederentdeckt, er fasziniert und berührt mich auf mehreren Ebenen. Er bringt mich immer wieder zum Nachdenken und ermutigt mich auch oftmals.
Neben dem Text gefällt mir auch Petruccis cleane Gitarre sehr in dem Song, nebst einem weiteren mitreißenden Solo. This Is The Life nimmt mich durch einige Situationen, hoch, und auch wieder runter und lässt mich jedes Mal nachdenklich und leicht melancholisch zurück. Eine von Dream Theaters besten Balladen.
Dazu kontrastierend folgen die beiden härtesten Songs des Albums.
Bridges In The Sky beginnt mit der Stimme des Schamanen, nicht umsonst hieß der Song ursprünglich The Shaman’s Trance. Eben jener Schamane wird im Song auch mehrmals besungen. Ob diese Schamanenstimme nun aus Rudess’ Keyboard stammt oder aus seinem Allerwertesten ist mir herzlich egal, denn ich finde das irgendwie ziemlich lustig. Nach der Stimme folgt ein Agnus Dei Chor, bevor dann, tief und extrem mächtig, Petruccis punktiert riffende Gitarre einsetzt. Ich glaube, wenn man dieses Intro nicht mag, sollte man es sich live geben. Das könnte die Meinung einiger ändern, denn da kommt es RICHTIG geil. Dream Theater haben mit diesem Song ihre Shows der Dramatic Tour eröffnet. Wenn man gespannt wartet, die Bühne ganz in blau gehüllt ist, der Schamane und der Chor zu hören ist- und DANN die Band auf die Bühne kommt und Petrucci mit diesem tierischen Riff einsetzt, geht man einfach nur krachen. Das fetzt richtig. Der Songs geht absolut typisch weiter und leitet nach ein paar hymnischen Refrains in den ersten ausgedehnten Soloteil des Albums inklusive Rudess-Petrucci-Zuspiel über. Trotzdem hält sich der Song im Zaum und belässt den Soloteil bei „nur“ ca. 3 Minuten. Er endet hymnisch und riffend. Am Ende hört man noch mal den Schamanen.
Ich finde, dass Bridges In The Sky mal wieder bezeichnend für den Stil des Albums ist: Er ist zwar über 11 Minuten lang, erinnert aber doch eher an einen „Song“ im wörtlichen Sinne, als an ein Epic, wie zum Beispiel Learning To Live oder Trial Of Tears, die beide nur unwesentlich länger sind. Wie schon gesagt ist auch der Soloteil nicht allzu ausladend, und obwohl wir hier zweifelsohne den härtesten Track des Albums vor uns haben, ist bereits A Rite Of Passage vom Vorgängeralbum heavier als dieser, obwohl es auf Black Clouds auch noch ganz andere Kaliber gibt. Das bestätigt für mich meine Aussage vom Beginn der Rezension, dass A Dramatic Turn Of Events in vielerlei Hinsicht ein doch eher zurückhaltenderes Album ist.
Der nächste Song Outcry halt für den Hörer den abgedrehtesten Soloteil des Albums bereits. Der Anfang des Songs klingt leicht besorgt, Strophe und Refrain dann absolut MÄCHTIG, dramatisch und bombastisch. Der Text ist auffordernd, nicht besonders tiefgehend oder genial, aber durchaus effektvoll. Die Musik unterstreicht das. Der Soloteil schafft bei mir im Kopf das Bild einer Schlacht. Er ist recht abgefahren und vielleicht irgendwo zwischen The Dance Of Eternity und dem Intro von In The Presence einzuordnen. Nicht so witzvoll wie ersteres, aber abwechslungsreicher als zweiteres. Jedenfalls kann jeder zeigen was er kann und es geht ordentlich die Post ab. Mir erscheint das ganze auch nicht wie eine wahllose Aneinanderreihung von Frickelpassagen, ich finde, dieser Soloteil hat durchaus Struktur und ist durchdacht. Gefällt mir sehr gut. Mal wieder beeindruckend, wie extrem präzise Dream Theater spielen können, besonders, wenn man bedenkt, dass die das live Ton für Ton wiederzugeben vermögen. Apropos live, auch der Schluss kommt in Concerto sehr geil, wenn die ganze Halle die HEYS mitgröhlt.
Mit Far From Heaven folgt dann die nächste Ballade, diesmal nur mit Klavier, Gesang und ein paar Rudess-Streicherchen. Der Song beinhaltet den einzigen Text von LaBrie auf dem Album. Er wäre im Prinzip nicht der Rede wert, aber ich sehe ihn als Intro zum folgenden Track, Breaking All Illusions, dem wohl größten Statement des Albums. Das Thema von Far From Heaven wird am Ende des folgenden Songs noch einmal sehr gelungen aufgenommen. Und hier, muss ich ehrlich zugeben, sind die Parallelen zu I&W am größten: Wait For Sleep + Learning To Live = Far From Heaven + Breaking All Illusions. Aber ein Song, der mit Learning To Live vergleichbar ist, kann ja eigentlich kein schlechter Song sein. Und so ist es auch. Der Track klingt so nach 90er-Dream-Theater wie kein anderer, der nicht gerade von den 90er-Dream-Theater ist, und außerdem vom Aufbau und dem Einsatz der Instrumente her verdächtig stark nach Learning To Live. Letzteres wird allerdings nicht erreicht.
Breaking All Illusions legt ein moderates Maß an Heaviness an den Tag und ist extrem vielseitig und kreativ was die Struktur anbelangt. In der Mitte findet sich ein ruhiger Teil mit einem traumhaften Petrucci-Solo, der auch live für ordentlich Gänsehaut sorgt. Der Schluss mit der Far From Heaven Reprise ist dann sehr bombastisch und erhaben. Da habt ihr’s, Dream Theater Fans, so klingt ein Song der 90er-Dream-Theater, wenn er heute geschrieben worden wäre.
Am Ende von Breaking All Illusions hört man einzelne Tropfen, die, sehr gelungen wie ich finde, zu einem Rhythmus mutieren und in den letzten Song, Beneath The Surface, überleiten. Dieses Lied ist sozusagen die Ruhephase nach dem letzten großen Werk des Albums, gewissermaßen die Zigarette danach oder so. Eine interessante Art ein Album zu beenden. Es handelt sich um ein Stück mit viel Akustikgitarre, erneuten Rudess-Streichern und einem Keyboardsolo mit einem recht merkwürdigen Sound. Der Song ist was er sein will - nicht mehr und nicht weniger – ein ruhiger Abschluss, die Beruhigung nach der Aufregung. Ein guter Abschluss.

Nach den experimentellen Alben Octavarium und Systematic Chaos, sowie dem eher düsteren und rauen Black Clouds haben wir mit Dramatic Turn mal wieder ein „klassisches“ Dream Theater Album vor uns. Fast ohne Schnörkel, nicht übertrieben hart, aber trotzdem noch auf Metalbasis. Festzuhalten ist jedenfalls, dass mit Portnoy die Verspieltheit, die Tapsigkeit, die Experimentierfreudigkeit und die Rauheit verschwunden sind. Aber so wie es aussieht, scheint letzteres auf dem kommenden Output wieder größere Bedeutung zu finden. Ich bin mir immer noch unsicher, ob Mangini die großen Fußstapfen seines Vorgängers komplett ausfüllen kann; ich denke, das wird sich erst mit DT12 herausstellen. Ich bezweifle es zwar, aber auch denke ich, dass Mangini das nie wollte. Er ist ein tierischer Schlagzeuger, der gut in die Band passt, der seine Aufgabe durchaus gut macht. Portnoy zu ersetzen ist wie gesagt nicht möglich, finde ich. 
Woran es dem Album aber leider wirklich fehlt ist Pepp und Mut in der Produktion. Der fehlende Bums des Schlagzeug und der mir persönlich zu glatte Sound lässt das Album noch braver erscheinen als die Kompositionen eigentlich sind. Bleibt auf das im Oktober erscheinende Live @ Luna Park zu warten; ich glaube nämlich, dass die Songs live einiges mehr an Potenzial offenbaren.

Viele Fans empfinden den Weg den Dream Theater die letzten paar Jahre eingeschlagen haben als stagnierend, zu mainstreamorientiert oder zu metallastig. Ich kann gar nicht beschreiben, WELCHEN Weg Dream Theater eigentlich eingeschlagen haben, da für mich jedes Album immer noch einzigartig klingt, obwohl sich die Band trotzdem treu bleibt. Nichtsdestotrotz haben Dream Theater mit Dramatic Turn einen leichten Schritt zurück getan, was angesichts ihrer „drummerlosen“ Lage vielleicht logisch ist. Black Clouds gefiel mir dann doch noch ein Stück besser.
Trotzdem haben Dream Theater mal wieder ein tolles Album veröffentlicht, da kann man nichts sagen.

 

Bewertung:

Bezeichnenderweise 12 harte Dream Theater Punkte. Ganz ehrlich? Images & Words würde ich auch nicht mehr geben.

 

Vergleichbar mit: den Dream Theater der 90er, ohne große Anleihen an andere Bands

 
 
 
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