Dream Theater - Dream Theater (2013)

06.02.2014 12:43

 

Veröffentlichung: 2013

Genre/ Stil: Progressive Metal; Progressive Rock

 

Besetzung:

James LaBrie - Gesang

Jordan Rudess - Keyboards

John Petrucci - Gitarre

John Myung - Bass

Mike Mangini - Drums

 

Titelliste:

1. False Awakening Suite

        I. Sleep Paralysis

        II. Night Terrors

        III. Lucid Dream

2. The Enemy Inside

3. The Looking Glass

4. Enigma Machine

5. The Bigger Picture

6. Behind The Veil

7. Surrener To Reason

8. Along For The Ride

9. Illumination Theory

        I. Paradoxe De La Luminiere Noire

        II. Live, Die, Kill

        III. The Embracing Circle

        IV. The Pursuit Of Truth

        V. Surrender, Trust & Passion

10. (Hidden Track)

 
 
Neulich, als ich mich mit einem Freund in einer Bar bei einem Bier über die neue Dream Theater unterhalten hab, fiel ganz zwischendurch mal kurz die Aussage, Dream Theater sei für ihn ohne Mike Portnoy nicht mehr Dream Theater. Zu dominant sei seine Art, zu charakteristisch sei sein Spiel, und zu sehr sei Portnoy einfach der Kopf und das Herz der Band gewesen, als dass eine auf personelle Stärken und Inputs setzende Band wie Dream Theater nach dem Verlust eines solchen Mitglieds einfach unbeeindruckt weiter machen könnte. Nun ja, man muss schon sagen, Portnoys Input war beeindruckend. Immerhin gehen große Stücke wie The Best Of Times, The Mirror, A Change Of Seasons, sowie die ganze AA-Suite weitestgehend auf ihn zurück. Noch dazu ist seine Art in seiner Musik zu spüren, auch wenn er kompositorisch manchmal nicht unbedingt viel beigesteuert hat (siehe Adrenaline Mob, alle Neal Morse Alben,...). Und es ist nicht abzustreiten, dass im September 2010 ein wichtiger Teil der Band einfach wegbrach. Die Frage ist, macht das Dream Theater uninteressant, oder einfach nur etwas anders? Weder noch. Es wäre bescheuert zu vermuten, die Band hätte sich nach Portnoys Ausstieg nicht die gleiche Frage gestellt, wie wir alle: Wie geht’s nun weiter? An eine Auflösung war nicht zu denken- das stellt natürlich die Band als sehr willenstark und einheitlich dar. Bereits diese Tatsache, sowie das Statement, das mit A Dramatic Turn Of Events statuiert wurde, verneint deutlich die Aussage, Dream Theater ohne Portnoy sei nicht mehr Dream Theater: Dramatic Turn war so „klassische Dream Theater“ wie kein Album der „klassischen Dream Theater“ mehr (wie auch immer man diesen Begriff definieren möchte).

Immer noch Zweifel? Dann kommen wir jetzt zu DT12: dem neuen Dream Theater Album, das zufällig auch Dream Theater heißt. Wieso? Schaut euch einfach irgendein Interview irgendeines der Bandmitglieder von letztem Jahr an und ihr wisst es. Das Album soll zeigen, was und wer Dream Theater sind und was sie machen und das wird sich die Band auch nie zu schade, das zu betonen.  Was, und das ohne Portnoy? Ja, und das ohne Portnoy. Seltsam, während die einen nach der Wiederkehr des Hitzkopfes hinter den Kesseln schreien, und die anderen sich über Stagnation und Einseitigkeit beschweren, scheinen Dream Theater völlig unbeirrt ein tolles Album nach dem anderen herauszubringen- und das trotz Drummerwechsel. Dream Theater sind nach Portnoys Ausstieg immer noch die selbe Band und sie machen immer noch ihre typische Musik. Stillstand und Stagnation sind trotzdem von daher schon mal völliger Bullshit, dass auch DT12 wieder total anders klingt als irgendeiner seiner Vorgänger. Man geht wieder rauer und härter ans Werk als beim sympathischen Vorläufer Dramatic Turn, vielleicht sogar noch etwas mehr back to the roots, mit ein paar Anklängen an das Debut, aber trotzdem klingt das Album mal wieder voll und ganz nach Dream Theater- da verspricht der Name nicht zu viel. Und daher sind Dream Theater ohne Portnoy nicht uninteressant, und auch nicht viel anders; nein, sie machen immer noch ihr Ding, völlig unbeirrt, und stets gut. Da ist DT12 keine Ausnahme.

 

Am meisten Probleme könnte der geneigte Dream Theater Hörer vielleicht noch mit dem Präludium, der recht pompös betitelten, dreiteiligen False Awakening Suite, haben. Bereits bei deren Beschreibung im Vorfeld musste ich an Symphony X’s Oculus Ex Inferni denken, einem in Pathos und Chor getauchten Progmetal-Intro zu einem knallharten, düsteren Progmetal-Album. Auf den ersten Blick scheint False Awakening so ziemlich das gleiche zu sein. Doch das, was danach folgt, ist halt was anderes. Die bedeutungsschwangere Bezeichnung „Suite“ ist eigentlich nur wegen der Dreiteilung berechtigt, die man in der Tat auch echt wahrnimmt. Im ersten Teil hört man kraftvolle Kicks, Symphony X Chor (ok ich gebe zu, es gibt Gemeinsamkeiten), Streicher- und Unisonoläufe, sowie einen kurzen Marsch. Der zweite Teil wird noch etwas dämonischer, nimmt mehr Fahrt auf, bevor der dritte Teil dann eigentlich den Kreis zum ersten schließt. Ich finde, wir haben hier echt einen gelungenen Opener vor uns. Nicht so ausladend oder optimistisch gestellt wie einst die Overture zu Six Degrees, aber trotzdem pompös und düster. Dieser Song soll auch die Shows der Along For The Ride Tour eröffnen.

 

Allein durch eben dieses Präludum ist auch der nachfolgende Track, die vorveröffentlichte Single The Enemy Inside noch etwas mehr gewachsen. Wenn der letzte Ton der False Awakening Suite ausklingt und sofort danach eins der kraftvollsten Riffs des ganzen Albums losbrettert, spüre ich immer einen leicht wohligen Schauer auf dem Rücken: Hier sind sie wieder, die Kerle, die mir das Tor zu jeglicher komplexer Musik, zu einer völlig neuen musikalischen Welt geöffnet haben, und sie haben nichts von ihrem Charme verloren. The Enemy Inside ist ein typischer Song, der nach einem solchen Intro stehen kann, und gleichzeitig ein typischer Dream Theater Song der härteren Sorte. Mein erster Gedanke war, dass Mangini seine Becken sehr vielseitig und ganz anders als Portnoy bedient. Mein zweiter war, dass die Snaredrum wie die von Images & Words klingt. Dazu komme ich später noch mal. Es wird gerockt, es wird gerifft, es werden alle Register eines solchen Songs gezogen. Die Strophe groovt, Refrain ist hymnisch (vgl. The Root Of All Evil), der Soloteil vertrackt und nicht zu lang. The Enemy Inside ist ein Bodybuilder, ein absolutes Kraftschwein von einem Song. Er ist für mich im Albumkontext sehr gewachsen. Eingebettet zwischen der pompösen False Awakening Suite und dem optimistischeren Nachfolger The Looking Glass, ist er ein Song, der einfach an dieser Stelle stehen und auch in dem Zusammenhang gehört werden MUSS. Ich freue mich auch darauf, das Ding live zu hören.

 

Der eben erwähnte nachfolgende Song The Looking Glass nimmt etwas Fahrt heraus, und lässt den Hörer nach dem gerade gehörten, kraftvollen und energiereichen Opener-Doppelpack seine Gedanken kurz fassen. Es handelt sich um einen in der Tat an Rush angelehnten, stellenweise straighten, teilweise aber auch vertrackten Rocksong, der vor allem durch seinen sehr gelungenen Refrain zu überzeugen weiß. Desweiteren lässt Petrucci seine Gitarre hier mal wieder richtig singen. So ein Solo hätte kein Lifeson gespielt, große Klasse. Mangini hätte hier ruhig ein wenig straighter, generell etwas weniger spielen können. Ich glaube, dass dieses Lied live um Längen wachsen wird. Anfangs hielt ich den Song für eher schwach, aber das hat sich jetzt ziemlich geändert.

 

Enigma Machine entschädigt aber gleich wieder. Keyboard Intro, bratzende Gitarren, halsbrecherische Schlagzeugfills, blitzschnelle Unisonoläufe, danach Geriffe, bevor ein Drummfill ins Hauptthema einleitet. Weitere Themen werden vorgestellt und abgewandelt, bereits gehörte wiederholt und variiert. Dann, ohne Pause, Soli, Soli, Soli- dieses Lied bewegt sich die ganze Zeit auf 180. Außerdem hört man mal wieder richtig viel von Myung. Und dann: Dream Theater bauen eine Hommage an sich selbst ein? Der ruhigere Teil klingt verdächtig nach The Count Of Tuscany (Enigma Machine 3:37 und der Count 10:17). Danach eine lustige Einlage von Gitarre, Keyboard und Bass und rungs geht’s wieder ins anfängliche Geriffe. Mangini legt eine Art Mini-Drumsolo hin- wenn der diesen Part live nicht als Einstieg für ein längeres Drumsolo benutzt, dann weiß ich auch nicht. Ich meine, ein besseres Sprungbrett gibt es ja wohl nicht (#edit (6.2.13): Sie haben diese Stelle live tatsächlich als Einstieg für das Drums Solo verwendet).

Mich persönlich erinnert Enigma Machine eher an The Ytse Jam oder gar Rushs YYZ (nicht vom harmonischen selbst, sondern als Einheit) als beispielsweise an Erotomania oder The Dance Of Eternity. Es ist straight, es rifft und ist nicht ganz so vertrackt wie die eben genannten. Ein Dance Of Eternity schreibt man nicht zweimal, genauso wenig wie ein Supper’s Ready, ein Heart Of The Sunrise oder ein Starless. Ich finde es trotzdem sehr geil und denke, dass der Song live richtig krachen wird.

 

Mit The Bigger Picture führen Dream Theater die Linie der Powerballaden weiter (This Is The Life, Wither etc.) und gehen noch einen Schritt weiter. Die Motive und Ideen sind so gut verstrickt und variiert, dass man bei den ersten Hördurchgängen glaubt, man höre bis auf den Refrain bei jedem Teil ein völlig neues Thema. Bereits der Übergang von dem kurzen, ruhigen Pianointerludium zur Strophe ist sehr schön gemacht. Es wird eine Idee bestehend aus Vierteltriolen vorgestellt, und direkt darauf wird sie variiert, indem das Tongeschlecht von Moll zu Dur verändert wird, und als Grundstein für die erste Strophe verwendet. Und wenn wir schon bei der ersten Strophe sind: Die ist richtig traumhaft, nicht zuletzt wegen LaBries tollem Gesang, der hier sehr gut mit Rudess’ Klavier und Petruccis leise kommentierender Gitarre harmoniert. LaBrie verkündet Lebensweisheiten und Hoffnungsschimmer in einer leicht kitschigen, aber für mich immer noch hübschen Wortwahl. Der Refrain ist dann kraftvoll und hymnisch und verwendet Melodien aus der Strophe wieder. Die zweite Strophe ist komplett anders als die erste und hält die Spannung. Nach dem zweiten Refrain kommt ein richtig schönes Solo vom Meister Petrucci. Dieser setzt hier wieder sehr stark auf Melodik und wenig Gefrickel (vgl. Präludium von In The Presence Of Enemies). Kurz nach der 5 Minuten Marke finden wir eine überdeutliche Queen-Reminiszens mit typischer Brian May Gitarre. Die Coda schließlich ist dann für die Ewigkeit geschrieben und wird live für Gänsehaut sorgen. Wieder baut man auf bereits vorgestellte, aber hier variierte Motive auf. The Bigger Picture ist eine fantastische Komposition die, ich wiederhole mich, live um Längen wachsen wird.

 

Nach einem optimistischeren Song, einem Instrumental und einer Powerballade kommt jetzt ein zweiter Kracher im Sinne von The Enemy Inside. Behind The Veil beginnt mit etwas Keyboardflächengemache und bricht dann in ein ziemlich cooles Riff mit Kicks aus. Auch hier hat man bei den ersten Hördurchgängen das Gefühl, man würde mit jedem Teil ein neues Thema vorgestellt bekommen- was nicht der Fall ist. Der Song ist sehr heavy, bringt aber immer wieder ruhige Stellen, nebst einem hymnischen Halftime-Refrain. Der Soloteil erinnert mich persönlich stark an Yes, die Art wie der 7/8-Takt und die Harmonik eingesetzt wird. Das Keyboardsolo ist für mich eine Reminiszenz an Rick Wakeman. Schließlich kommt man wieder zum Refrain und beendet den Song mit Geriffe. Die letzten beiden Songs sind für mich sehr gute Beispiele, wie man viele Ideen intelligent in kurze Songs packen kann. The Bigger Picture und Behind The Veil folgen dabei einem ähnlichen Gedanken, auch, wenn sie als Song total unterschiedlich sind: sie stellen Themen vor und variieren und wiederholen sie beständig in anderen Zusammenhängen. Dabei bleibt aber ein Strophe-Refrain-Schema bestehen, welches nicht ganz so einfach und leicht durchschaubar ist wie einst bei Wither, aber trotzdem recht konkret ist.

 

Surrender To Reason beginnt, ähnlich wie The Looking Glass, etwas Rushig, überlegt es sich aber nach kurzer Zeit schon anders. Zurecht wurde dem Song angekreidet, er wisse nicht so ganz, was er eigentlich sein will: Die ersten anderthalb Minuten beinhalten bereits drei völlig verschiedene Teile, was anfänglich vielleicht recht verwirrend ist. Das wirkt erst schlüssiger, wenn man bemerkt, dass alle drei Teile später noch mal aufgegriffen werden. Das Lied bewegt sich irgendwo zwischen Halbballade und Bombastkracher mit ein paar moderat harten Riffs in der Mitte. Eigentlich finde ich das ganz cool, der Song ist von Gedanken und Aufbau einfach etwas anders. Der Refrain ist sehr geil, zwischendurch singt Petruccis Gitarre noch mal sehr schön und die Reprise des Anfangsthemas wird durch megaschnelle Drumfills verfeinert. Sicherlich hätte man aus diesem Thema und dem Song generell noch etwas mehr machen können, indem man die ein oder andere Idee noch weiter ausgebaut oder manches Motiv noch etwas variiert hätte. Ich muss allerdings sagen, dass ich nicht bemerkt hätte, dass es hier um einen Text von John Myung handelt, wenn ich es nicht vorher gewusst hätte. Und so sehr umhauen tut er mich auch nicht. Aber LaBrie singt von „restless angels“ und so was, das ist ja wohl eine weitere Rush-Reminiszens ;)

Trotz der angesprochenen Schwächen gefällt mir Surrender To Reason nicht schlecht. Und wenn am Ende das Anfangsthema noch einmal wiederkehrt und Mangini ein mörderisches Fill dazwischenprügelt, dann packe ich immer mein Luftschlagzeug aus.

 

Bevor der abschließende Longtrack und Höhepunkt den Hörer wegpusten soll, bietet das Album noch eine Ballade, Along For The Ride. Es handelt sich wieder um eine typische Ballade mit typischem Petrucci Text. Manginis Spiel finde ich hier recht eigenartig, gerade in den Strophen hätte er sich mehr auf Grooves als auf Fills beziehen können. So erscheint mir das, was er spielt, ein wenig spröde, wenig fließend und ein wenig unsensibel für so eine sensible Ballade.. Aber das liegt vielleicht auch dem Drumsound, zu dem ich wie gesagt später noch mal komme. Das Keyboardsolo wurde von Anfang an gebasht, weil es den gleichen Sound hat wie das von Beneath The Surface; es wurde stellenweise nur deswegen als „von sich selbst abgekupfert“ beschrieben. Liebe Dream Theater Fans, könnt ihr eigentlich noch was anderes als nörgeln? Das ist doch scheißegal, ob das der gleiche Sound ist. Tony Banks hatte bei den meisten seiner besten Keyboardsoli einen und den selben Sound! Wie dem auch sei, Along For The Ride ist ein wirklich schönes Liedchen mit einem schönen Refrain, das in den Konzerten wohl den Moment verkörpert, in dem man seine Freundin (die hoffentlich auch Dream Theater liebt) in den Arm nimmt und etwas schwelgt.

 

Womit wir am Höhepunkt angelangt wären.

 

Illumination Theory wurde vorgeworfen, es wäre kein zusammenhängender Song, sondern eher 5 einzelne Songs oder eine Ansammlung von guten Ideen. Dem stimme ich nicht so ganz überein, obwohl das Stück sicherlich nicht so geschlossen konzipiert ist wie einst Octavarium oder The Count Of Tuscany; allerdings fand ich A Change Of Seasons zumindest zerfahrener, mit viel mehr Themen die vorgestellt und dann verworfen, ja manchmal sogar abgebrochen wurden. Naja, nehmen wir das Stück mal ein wenig auseinander.

Paradoxe Of The Luminiere Noire beginnt völlig typisch, mit einem Thema, bombastisch, episch hymnisch: okay, das Grundthema, ähnlich wie bei Octavarium (vom Keyboardintro abgesehen). Erste Zwischenbemerkung, dieses Thema erinnert mich extrem stark an Tschaikowskys erstes Klavierkonzert. Ob diese (ich nenne es mal) Anlehnung gewollt ist oder nicht, weiß ich nicht, denn Jordan kennt dieses Klavierkonzert sicherlich. Kurz darauf folgt ein Gitarrenriff, von Petrucci durch Telefon gespielt (Vgl. Endless Sacrifice), das sozusagen ins Präludium einleitet und dessen Grundstein bildet. Es wird vertrackt, jedoch wenig gefrickelt, eher mit Rhythmen und Verschiebungen gespielt. Ein bratzendes Keyboardriff und ein recht langer Drumfill leiten in den nächsten Teil ein, Live, Die. Kill. Dieser erinnert etwas an Stücke wie As I Am oder The Root Of All Evil. Der erste Refrain beinhaltet hier interessanterweise ein paar Taktwechsel, die im zweiten dann gerade gerückt werden. Interessante Idee.

Direkt darauf folgt der erste Soloteil. Der gefällt mir dann auch gleich richtig gut! Hier wird recht DT-untypisch komplett auf barocke Bach-Harmonik und –Melodik gesetzt. Man hört richtig raus, wie bewandert Rudess und co. mit solcher Musik zu sein scheinen: Melodien schlingen sich umeinander, eine Stimme löst die andere ab, etc. – ja, da sind einige Ansätze von typischen Bach-Kompositionsstrategien wiederzufinden. Das bisschen Barock steht dem DT-Sound eigentlich ziemlich gut.

Wie auch immer, das ganze geht auch nur weniger als eine Minute, bevor der Song zu einem Ruhepunkt gelangt. Für einen Moment finden wir uns in „I Get Up, I Get Down“ wieder, dem Ruhepunkt aus Yes’ Meisterwerk Close To The Edge; eben jenem, der eben jenes Werk damals perfekt gemacht hatte. Allerdings ist es nicht so ganz leicht, zu einem der großen Werke der 70er einfach so eine Brücke zu schlagen und heute zum funktionieren zu bringen, was damals bei diesem Werk funktionierte. Deswegen wirkt dieser eingeschobene Ruhepunkt zwar nicht komplett fehl am Platz, er bildet aber dennoch einen kleinen Riss im Fluss von Illumination Theory. Wie dem auch sei, man wird bald entschädigt von der eigentlichen Quintessenz von The Embracing Circle, denn es folgt ein wunderschöner Streicherpart. Erinnert sich irgendjemand an die kurzen Studioclips, die vor der Veröffentlichung bei YouTube auftauchten? Da sagte Jordan Rudess einmal sinngemäß, sein Job wäre (auch), auf Anhieb die traurigste Melodie zu spielen, die er sich vorstellen kann. Das hier scheint sie zu sein, und sie ist wirklich wunderbar.

Direkt im Anschluss finden wir eine Reprise des Anfangsthemas und eine kurze Weiterführung, bevor ein Pink Floyd artiger Soundeffekt in ein aggressives Schlagzeug-Bass-Stakkato einleitet. Hier beginnt der Song für mich ein paar kleine Schwächen aufzuweisen: Das Problem von Illumination Theory ist nämlich nicht, dass es zu zerfahren ist, oder dass der Ruhepunkt einen viel zu großes Loch in den Song reißt – nein, für mich ist einfach das Problem, dass es zu wenig Querverweise auf die anderen Teile gibt, die den Song einheitlicher machen würden, bei denen man merkt, dass man immer noch das selbe Lied hört.

Wie leicht wäre es gewesen, nach der folgenden Strophe („Mothers for their children, [...]“) noch einmal den Live, Die, Kill Refrain („We seek [...]“) abgewandelt einzusetzen? Wie leicht wäre es gewesen, das Tschaikowsky-artige Hauptthema ganz am Ende, vor dem Gongschlag, noch einmal zu spielen? Das hätte den Song vollkommen gemacht.

Natürlich halte ich den Song immer noch für außergewöhnlich, denn rein von der Struktur her ist er auch gut durchdacht. Nur, was Leitmotive, wiederkehrende Hooklines etc. angeht – da schwächelt er ein wenig. Aber im Ernst, in dem Zusammenhang schwächelte auch A Change Of Seasons, da war das einzige wiederkehrende Thema das Gitarrenthema am Anfang und am Ende.

Illumination Theory wird trotzdem standesgemäß und mit großer Geste zu Ende gebracht. Wir hören erst einen sehr geilen Soloteil, bei dem Rudess zeigt, dass er Keith Emerson mag (die Quartarpeggien). Dass er auch Jon Lord cool findet, hat er ja bei dem rockigen Shuffle mit der Schweineorgel schon gezeigt. Eben dieser Teil kehrt jetzt wieder, und natürlich wird heftig darüber soliert und gefrickelt.

Wenn Dream Theater allerdings was drauf haben, dann ist es, zu einem Finale hinzuleiten. Während Petrucci soliert, legt Rudess ein paar Akkorde drunter, die unweigerlich zur Erlösung führen. Und hier finden wir uns in einem großen Finale wieder, einen der Momente, für die ich Dream Theater so liebe. LaBrie verkündet noch ein paar wichtige Lebensweisheiten, bevor Petruccis Gitarre noch einmal richtig schön singt und am Ende in einem hohen Ton triumphiert. Die Harmonieverbindung ist genial und wird am Ende, bei Petruccis Triller, sogar noch mal klassisch angehaucht. Das ist schon großes Kino.

So. Für mich ist dieser Song hier zu Ende, und ich kann nicht nachvollziehen, wie alle dieses Easter Egg als zum Song gehörend bezeichnen können. Dieses ist eigentlich unnötig, aber doch ganz hübsch, es lässt den Hörer noch mal runter kommen. Es hat aber nichts mehr mit Illumination Theory zu tun, sodass dieses nach 19:17 min für mich zu Ende ist. Der Hidden Track passt für mich allerdings sehr gut an das Ende des Albums.

 

Nach dieser ausführlichen (und doch recht lang geratenen ;) ) Analyse möchte ich gern noch ein paar generelle Worte verlieren.

Die Texte auf DT12 sind etwas anders als die der vorherigen Alben. Auf The Count Of Tuscany oder The Ministry Of Lost Souls wurde erzählt. Speziell auf Systematic Chaos gab es Geistergeschichten. Auf Dramatic Turn wurden die Texte manchmal etwas politisch (Outcry, On The Backs), genau wie sie bei In The Name Of God mal religionskritisch wurden. Auf Dream Theater wird eher philosophiert. John Petrucci findet wirklich schöne Worte um den Songs Gesicht zu verleihen. In diesem Zusammenhang gefällt mir die Closing-Section von The Bigger Picture sehr gut, wo lauter Paradoxons aufgezählt werden. Den Text von Myung finde ich nicht herausragend, sondern unauffällig. Dass das Ganze manchmal den Hang zum Kitsch besitzt ist mir relativ egal; ich bekenne mich schon immer zum Kitsch-Fan.

 

Der Sound auf Dream Theater ist wirklich sehr gut, auch wenn durch Komprimierung manchmal ein wenig Dynamik verloren geht. Der Gesang ist glasklar, die Sounds aus Rudess’ Keyboard sind geschmackvoll, weil vielseitig und endlich mal wieder etwas retro. Der Bass hätte etwas weniger Mitten vertragen können (vgl. Rush’s Clockwork Angels: so muss ein Bass klingen), aber ich bin froh, Myung überhaupt zu hören. Petruccis Gitarre klingt- was soll ich sagen, SO sollte eine Gitarre im Rock- und Metalbereich klingen..

Das einzige, was gar nicht geht, und ich habs ja schon mehrfach angesprochen, IST DAS SCHLAGZEUG! John, was hast du dir dabei gedacht? Das ist so ziemlich der ekligste, unvorteilhafteste Snaresound, den ich seit Images & Words je gehört habe. In der Tat klingt es fast wie auf I&W: Die Snare hat überhaupt keinen Bauch, ist absolut nicht natürlich, und hat nur Ober- und Untertöne. Bei Bigger Picture spielt Mangini im Solo herrlich Ghostnotes etc., aber es kommt nichts davon rüber, weil jede kleine Berührung des Fells fast so laut ist wie ein Schlag mit voller Wucht. Überhaupt geht jede Dynamik hier verloren, und Mangini spielt dynamisch! SCHADE! Auch mit der Bassdrum bin ich nicht ganz zufrieden, die hat mir zu viel Klick, und zu wenig Bums. Wenn ich Rush’s Vapor Trails (okay schon wieder Rush) anmache und der geile One Little Victory Groove losbrettert- dann weiß ich wie ein Schlagzeug zu klingen hat! Ein Snaresound muss prägnant sein, offen sein und er muss knacken. Hier klingt er wie als würde man mit einem Stift auf ein Kopfkissen hauen.

Umso mehr freue ich mich, die kompositorisch zweifelsohne geilen neuen Songs live zu hören- mit einem anständigen Schlagzeugsound! Und hoffentlich bringen Dream Theater nach der Along For The Ride Tour ein weiteres Live Album raus- mit vielen neuen Songs und einem anständigen Schlagzeugsound!

Auf Dramatic Turn war der Drumsound okay, er war nur etwas zu leise und ihm fehlt etwas der Bums. Aber auf Dream Theater’s selbstbetitelten Album klingt Manginis Schlagzeug, sorry, echt scheiße. Da kann er geil spielen wie er will, und das tut er.

Zumindest klingen die Becken meiner Meinung nach gut. Aber wenn man schon Rush Reminiszenzen in Text und Musik einbaut, wieso dann nicht auch im Sound? Und wieder geht mir One Little Victory durch den Kopf..

 

Nun gut.

Jetzt bin ich meinen Schlagzeugkummer losgeworden.

Trotzdem gefällt mir Dream Theater’s selbstbetitelte. Während A Dramatic Turn Of Events zurück zum Images & Words Sound (kompositorisch, nicht produktionstechnisch, das haben wir hier), geht dieses Album bis auf die False Awakening Suite noch etwas tiefer in die Wurzeln. Daher verurteile ich die Rush Anklänge auch nicht; Dream Theater sind und waren immer Rush Fans und der DT Sound wäre nicht der gleiche ohne diese Einflüsse. Und da Rush Einflüsse auf When Dream & Day Unite auch nicht abzustreiten sind, höre ich auch einige Parallelen zwischen dem ersten und dem letzten Dream Theater Album. Die Songs sind noch kürzer und präziser als auf Dramatic Turn.

Allerdings ist DT12 im Vergleich zu seinem Vorgänger wieder bombastischer, etwas melancholischer, nicht ganz so abgeklärt- und hält für den geneigten Dream Theater Fan mal wieder ein paar wirkliche Perlen bereit. The Looking Glass ist für mich mit der Zeit enorm gewachsen, The Enemy Inside wirkt im Albumkontext extrem gut und das Überwerk Illumination Theory ist trotz einiger Schwächen in der Konzipierung ein großes Stück Musik mit einigen tollen Momenten.

Sicherlich hätte man aus vielen Ansätzen und Ideen noch etwas mehr rausholen können, wenn man sie einfach etwas weiter ausgeführt hätte (Surrender To Reason), sicherlich zerstört der Schlagzeugsound den einen oder anderen Gesamteindruck (Along For The Ride) – aber trotzdem spielen Dream Theater auf ihrem nunmehr ZWÖLFTEN Album immer noch tollen Progressive Metal mit viel Freude und viel Tiefgang. Und wenn wir mal wieder beim Totschlagargument „Zwölftes Album sind“, dann muss ich das auch noch weiter ausführen: Yes’ zwölftes Album war Big Generator, Genesis’ zwölftes Album war ebenfalls ein selbstbetiteltes, aber.. naja, verlieren wir hier mal nix drüber...

Dream Theater hingegen vermögen es aber, 24 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Debuts, immer noch nach sich selbst zu klingen.

„ Und daher sind Dream Theater ohne Portnoy nicht uninteressant, und auch nicht viel anders; nein, sie machen immer noch ihr Ding, völlig unbeirrt, und stets gut. Da ist DT12 keine Ausnahme.“
 
 

Bewertung:

"Dream Theater" hat Schwächen, die Dramatic Turn nicht hatte. Aber das gleich könnte man auch andersrum behaupten.

 

Vergleichbar mit: den Dream Theater von When Dream & Day Unite, in Ansätzen Rush, an einer Stelle Tschaikowsky.

 

 

Mehr von Dream Theater

Dream Theater - Six Degrees Of Inner Turbulence (2001)

Dream Theater - Systematic Chaos (2007)

Dream Theater - A Dramatic Turn Of Events (2011)

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