King Crimson - In The Court Of The Crimson King (1969)

01.01.2015 21:37

Veröffentlichung: 1969

Genre/ Stil: Progressive Rock

 

Besetzung:

Robert Fripp - Gitarre

Greg Lake - Bass, Gesang

Ian McDonald - Holzblasinstrumente

Pete Sinfield - Texte

Michael Giles - Schlagzeug

 

Titelliste:

1. 21st Century Schizoid Man

2. I Talk To The Wind

3. Epitaph

4. Moonchild

5. In The Court Of The Crimson King

 
 

Als Robert Fripp gegen Ende der 60er mit den beiden Giles Brüdern Peter und Michael die nur für kurze Zeit bestehende Psychedelic-Fusion-Popband Giles, Giles & Fripp gründete, ahnte wohl nicht mal er selbst, wo es ihn noch hinverschlagen sollte. Das einzige, völlig unbeachtete Album dieses Trios (The Cheerful Insanity of Giles, Giles & Fripp, 1968) beinhaltete in gewisser Weise typische 60er Jahre Musik, welche sich ziemlich geschickt durch die Bereiche des Psychedelic Rock, des Jazz Fusion und des Pop schlängelte, am Ende aber leider an dem im Prinzip eigentlich guten Gedanken, komplexe, vielseitige Musik durch typisch englischem, leicht grotesken Humor („Rodney was a sad young man because he was fat und ugly“) leichter zugänglich zu machen, scheiterte und deshalb oft als reines „Quatschalbum“ abgetan wurde und wird. Dieses Album deutete einerseits auf das große Potenzial aller drei Musiker hin, bietet es doch relativ versteckt großartige Gitarrenarbeit, an welcher sich noch heute eingeweihte Gitarristen beim Versuch, manche Sachen nachzuspielen, die Zähne ausbeißen (Suite No. 1), sowie filigranes, aber ziemlich gut gespieltes Schlagzeug und kleine, kompositorische Finessen, wie Takt- und Rhythmuswechsel oder konventionell wirkende Sprünge durch unterschiedliche Musikstile.

Als dieses Album nach seiner Veröffentlichung wie gesagt völlig unterging und an manchen Stellen als „Beatles für Arme“ abgetan wurde, schienen Fripp & co. zu meinen, ein musikalischer Wandel müsse her. Das war übrigens nicht das einzige mal, dass Robert Fripp das beschloss. Im Laufe der Jahre kristallisierte er sich als das einzig konstante Mitglied der Formation King Crimson heraus, und die Musiker kamen und gingen derart oft, dass man bei Crimso beinahe eher von einer losen Ansammlung von Musiker um den Mastermind Fripp als von einer Band im eigentlichen Wortsinne sprechen könnte. Doch dieser bestreitet in seiner zurückhaltenden Art seit ca. 40 Jahren, dass er der Mastermind oder der Kopf der Truppe sei. Ein Unterfangen, was sowohl schwer zu verstehen, als meiner Ansicht nach auch unsinnig ist, denn anders ist es einfach nicht. Im Laufe ihrer mehreren Phasen ließen sich King Crimson von unterschiedlichen Stilen beeinflussen, wie zum Beispiel Jazz, Fusion, Klassik, Beat, New Wave, elektronischer Musik, Drum & Bass, Metal oder auch freier Musik a la Free Jazz oder Musique Concrete. Der Sprung von The Cheerful Insanity zu In The Court Of The Crimson King ist dabei bereits einer der größten in der Bandgeschichte. Von fröhlich und gefahrlos wirkendem Psychedelic-Pop, bestehend aus 2-5 Minutensongs mutiert die Musik zu apokalyptischen, mellotrongetränkten und düsteren Werken, welche gern mal ausufern und von Hörer eine gewisse Konzentration abverlangen. Es ist ein Wunder, wie ein paar Typen in ihren Mittzwanzigern solch tiefgründige Musik schreiben konnten. Wie dem auch sei, man sollte froh sein, dass The Cheerful Insanity nie den gewünschten Erfolg hatte, sonst wären uns womöglich viele, viele große Werke durch die Lappen gegangen. 

 

Dieses erste große Werk der Band beginnt mit einem absoluten Klassiker. 21st Century Schizoid Man ist ein aggressives Stück Musik mit riffenden und schreienden Gitarren, verzerrter Stimme und schnellen Synchronteilen. Es beginnt jedoch leicht psychedelisch mit seltsamen, sehr leisen Soundeffekten (vgl. Pink Floyd), bevor urplötzlich der Song einsetzt. Saxofonsätze und Gitarren riffen um die Wette, Lakes Stimme klingt daraufhin fast unangenehm verzerrt. Der Song setzt energietechnisch noch einen drauf und geht über in einen Synchronteil mit Bluesig angehauchten Melodien und Riffs. Solche Momente muss die damalige Hörerschaft glattweg umgehauen haben. Abgehackte Stakkatokicks jagen superschnelle Blueslinien, atonale Soli treffen auf geschäftiges Schlagzeug, alles ist supertight gespielt und intelligent arrangiert. Gegen Schluss wird mit einem rocktypischen Glissando nochmal das Anfangsriff aufgenommen. Der Schizoid Man ist auf jeden Fall ein Klassiker in der Rockmusik, und das zu Recht. Manche bezeichnen ihn sogar als den Urknall des Progressive Metal. Zu diesem Song seien auch unbedingt die zugehörigen Liveversionen erwähnt, die sich meist auf einem sehr hohem Energielevel befinden, im Arrangement jedoch um die Holzbläsersätze ausgedünnt sind. Diese sind zu finden auf den Livealben USA und The Night Watch. Beide Alben seien im Übrigen allen Musikfreunden (damit meine ich wirklich ALLE) ans Herz gelegt, denn selten habe ich ein live derartig energetisch perfomendes Quartett gehört.

Zurück zum Thema, der Song endet schließlich im völligen Chaos, bevor er kurz ausklingt und noch mal ausrastet. Crimson-typisch (wie sich später erst herausstellen sollte) endet der Songs abrupt und wird abgelöst I Talk To The Wind, einem Song, der das komplette Gegenteil darstellt. Dieser beginnt mit naiv und sorglos klingenden Flöten (sehr beeindruckend, wie Ian McDonald auf diesem Album SÄMTLICHE Holzblasinstrumente spielt) und entspanntem Gesang. Herrlich der Text: "Said the straight man to the late man: Where have you been? I've been here and I've been there and I've been in between.". Die Songs fließt sehr schön und verbreitet nach dem musikalischen Inferno vom Vorgängerlied eine wunderbare Ruhe. Das Talent, ebendiese Ruhe zu schaffen, haben King Crimson auf ihren späteren Album noch sehr erfolgreich nutzen können (Cadence & Cascade, Lady Of The Dancing Water, Starless, Islands). I Talk To The Wind überzeugt im Vergleich zu beispielsweise Cadence des Nachfolgeralbums oder Lady Of The Dancing Water von Lizard aber viel eher durch Flötensätze und Robert Fripps sehr jazzig klingender Gitarre (vgl. Wes Montgomery) als durch akustische Gitarren oder flockige Atmosphäre.

Der Song ist noch gar nicht richtig ausgeklungen, schon kommen aus der Ferne die einleitenden Paukenwirbel des nächsten Songs Epitaph. Hier haben wir fette Mellotronflächen, Akustikgitarrenarpeggios, ruhige Strophen, apokalyptische Akkorde, traurige Texte. Die orchestrale Percussion kehrt immer mal wieder zurück und gibt dem Song ein noch breiteres Gewand. Greg Lake singt mit seinen 22 Jahren, als hätte er schon mehr erlebt als die meisten Menschen in ihren 60ern. Herrlich ist auch, wie der Song mit wenigen Motiven durch seinen relativ konventionellen Aufbau sehr langsam aufgebaut wird. Hin und wieder spielt der Song zu einem Klimax hin und explodiert in einer riesigen Mellotronwand. Absolut herrlich, dieser Sound. Irgendwann ist der Song zu Ende und man glaubt nicht, dass das gerade 9 Minuten waren. Alles in allem ist Epitaph ein herrliches, tief trauriges, aber auch hymnisches, wunderbar fließendes und letzten Endes absolut episches Lied.

Moonchild ist daraufhin der große Streitpunkt des Albums. Der Song ist zweigeteilt; während der erste Teil im Prinzip aus einer wunderschönen Ballade besteht, die extrem viel Sehnsucht verbreitet, wird der Song nach ca. 3 einhalb Minuten zu einer freien Improvisation, wie man sie von Crimso später noch öfter hören sollte. Zu dieser Zeit hatte das die Band aber leider noch nicht so gut ausgecheckt wie schon zu Starless & Bible Black Zeiten. Man hört also hier mal einen Pling, da mal einen gedämpften Gitarrenton, das ganze verläuft sehr ruhig. Wie leicht wäre es gewesen, über die Harmonien von Moonchild ewig Solo zu spielen, mit einem Drumgroove drunter, und später wieder zum Refrain zurückzukehren. Aber die Band wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Trotzdem: auf der Steven Wilson Remaster-Edition wurden mit Einwilligung von Mr. Fripp höchstpersönlich gute zweieinhalb Minuten des Songs gekürzt. Also scheint auch dieser aus heutiger Sicht dem freien Improvisationsteil nicht mehr allzuviel abzugewinnen können. Bei bestimmten Stimmungsphasen gefällt mir dieser Teil sogar ganz gut. Besonders, wenn man das Album auf Schallplatte hört, entfaltet selbst dieser Part eine enorme Atmosphäre. Der Übergang zum nächsten Song ist dann wieder mal grandios. Ähnlich wie später bei Providence und Starless (Album Red, 1974) endet die Improvisation ziemlich unerwartet. Sofort danach bricht der finale Titelsong los und wirkt durch die vorangegangene minimalistische Soundcollage in seinem Bombast und seiner Erhabenheit natürlich noch viel bombastischer und erhabener. Noch hymnischer, größer und breiter als Epitaph wirkt der Song In The Court Of The Crimson King. Greg Lakes schwelgerische und erzählende Stimme passt mal wieder herrlich. Nach 7 Minuten hat man mal kurz das Gefühl, der Song sei zu Ende, bevor Mellotronflöten das Thema noch einmal aufnehmen und es kurz darauf von der Band noch mal so richtig zelebriert wird. Der Progressive Rock war spätestens ab dem letzten Schlagzeugauftakt ins Finale so richtig geboren. Der eigentliche Schluss des Songs ist dann viel abrupter und „unperfekter“ als die (ich nenne es mal) Zäsur um die 7 Minuten Grenze. Aber gerade das macht den Song wiederum aus.

 

Im Großen und Ganzen muss man sagen, dass das (angeblich) erste Progressive Rock Album aller Zeiten aus ziemlich wenigen Ideen zusammengesetzt ist. Viel eher versteht es die Band bereits sehr gut, diese Ideen gekonnt breitzuwalzen und zu variieren. Die Grundmelodie vom Titeltrack kommt in dem selben vielleicht dreißigtausend mal vor, dennoch geht sie einem nie auf die Nerven. Vielleicht sind ebendiese wenigen Ideen aber auch einfach derart gut, dass sie das Potenzial besitzen, so oft wiederholt werden zu können.

 

In The Court Of The Crimson King ist das erste vieler großen Werke von King Crimson. Aber sehr bald sollte sich herausstellen, dass es für die Band kein einfacher Weg werden sollte. Das Defizit, dass sich die Musiker untereinander nie so richtig einig wurden, was sie denn nun eigentlich wirklich für Musik machen wollten, zeigte sich bereits bei Giles, Giles & Fripp und blieb am Etikett „King Crimson“ haften. Auch diese erste Inkarnation sollte nur ungefähr ein Jahr halten, denn nach der Veröffentlichung des Albums entschlossen sich zwei der Mitglieder, Lake und McDonald, die Band zu verlassen. Sie erschienen noch kurz auf dem Nachfolgealbum In The Wake Of Poseidon.

Fripp selbst sollte noch sehr viel vor sich haben. King Crimson sollte noch besser werden. Das einzige, was allerdings nie von ihnen getoppt wurde, ist das Cover. Barry Godber, der Maler des Bildes, ist wenige Monate nach der Veröffentlichung mit 24 Jahren gestorben. Es war sein einziges Albumcover. Soviel zu der Mystik um dieses Album.

Musikalisch allerdings gab man sich nie mit einem gefundenen Stil zufrieden, sondern zeigte mit jedem Album, dass man sich sehr wohl mit fast jedem Album neu erfinden kann, ohne seinen ureigenen Stil aus den Augen zu verlieren. Sozusagen war In The Court auch "nur" ein Schritt von vielen folgenden.

 

 

Bewertung:

KEINE

Von seiner Position, seinem Einfluss und seiner Bedeutung her müsste hier eine 15 stehen. Rein subjektiv gesehen wäre es für mich eine 12-13, da die Band sich später noch um einiges gesteigert hat.

 
Vergleichbar mit:
Vorher gab es kaum etwas derartiges. Im Laufe der nächsten 5 Jahre sollten sich fast alle Progbands hieran orientieren. Und 45 Jahre später tun das Bands aller Genres immer noch.
 
 
 
 
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