Yes - Tales From Topographic Oceans (1973)

11.05.2013 17:19

Veröffentlichung: 1973

Genre/ Stil: Progressive Rock

 

Besetzung:

Jon Anderson - Gesang

Rick Wakeman - Keyboards

Chris Squire - Bass

Steve Howe - Gitarre

Alan White - Schlagzeug

 

Titelliste:

1. The Revealing Science Of God (Dance Of The Dawn)

2. The Remembering (High The Memory)

3. The Ancient (Giants Under The Sun)

4. Ritual (Nous Sommes Du Soleil)

 

Ich traue mich fast gar nicht, zu einem solchen Album eine Meinung abzugeben. Tales From Topographic Oceans ist ganz ohne Zweifel eines der waghalsigsten und zugleich vielseitigsten Werke von Yes. Diesmal überschreiten sie die Grenze zur Durchgeknalltheit entschieden.. ..Und fabrizieren damit eines der großartigsten Alben der Geschichte der progressiven Rockmusik.

Doppelalbum. Vier Lieder im XXL-Format. Spirituelle, so gut wie nicht nachvollziehbare Texte. Das schreit ja förmlich nach Kritik. Und die hat dieses Album auch bekommen. Auf der anderen Seite gilt es aber unter einigen Yes Fans als unbestrittes Meisterwerk, das bis heute seinesgleichen sucht. Ja, Tales ist das *Progressive*-Album, das Yes Fans am meisten zwiespaltet. Es sei zu langatmig, es sei zu übertrieben, es sei zu waghalsig. Yes waren schon immer waghalsig. Yes waren schon immer übertrieben. Und Langatmigkeit hatte bei Yes schon immer Sinn. Also.. Im Prinzip nix Neues? Durchaus. Yes haben ihren Stil und den bringen sie auch in diesem Album zu Genüge zum Einsatz. Doch es ist immer wieder eine Freude, ihre Musik zu analysieren, darüber nachzudenken ' und im Endeffekt vor Ungläubigkeit und mit leichten Tränen in den Augen zu staunen: Was diese Band geschaffen hat, ist einfach unfassbar genial!

So. Yes haben also vier 20-Minuten-Monstersongs geschrieben und schmeißen die irgendwie auf Platte? Mitnichten. Natürlich gibt es ein Konzept und mehrere textliche und vor allem musikalische Zusammenhänge. Demzufolge empfiehlt ' oder eher befielt ' es sich bei diesem Album, es als Gesamtwerk, ja fast als Suite, zu sehen und hören. Lassen sich The Revealing Science Of God und Ritual noch ganz gut einzeln hören, erschließen sich The Remembering als angebrachter, meditativer Ruhepunkt und The Ancient als beknackter, durchgeknallter und percussiver Höhepunkt erst richtig im Gesamtbild.

Yes schicken ihre aufmerksamen Hörer also auf eine Reise durch Gut und Böse und verzaubern sie von Anfang bis Ende durchweg.
Es geht los mit The Revealing Science Of God, einem eher ruhigen Satz mit einigen Ausbrüchen, aber vor allem einem riesigen Haufen lieblicher und schöner Melodien, Harmonien und Stimmungen. Es gibt relativ wenig Gefrickel, viel mehr zaubert die Band einen durch ein wunderschönes Klanggemälde aus farbenfrohen Ideen. They move fast, they tell me, but I just can't believe that I can feel it ' Ich fühle es. Dieser Satz lässt sich von allen am besten separat hören und ist im Gesamtbild als auch einzeln in sich perfekt geschlossen und besitzt obendrein noch einen perfekten Aufbau. Ein grandioses, perfektes Stück Musik.
The Remembering setzt zwar von der Stimmung her dort an, wo sein Vorgänger aufgehört hat, schraubt aber insgesamt die Spannung ein wenig herunter. Zwar gab es bei dem vorherigen Satz keine unbedingt anstrengenden oder gar nervigen Passagen, dennoch zeigt sich dieser Vorgang als angebracht. Es herrschen viel Mellotron, viel Gesang und viel, viel Ruhe vor. Nach ungefähr 10 Minuten überlegt es sich der Satz anders und baut wieder ein wenig mehr Spannung auf. Der Song endet schließlich mit einer Variation des Anfangsthemas, recht dramatisch und erneut von purer Schönheit.Und wer weiß, woher das Yes wissen, aber mal wieder positionieren sie jeden Wechsel, sei es von der Dynamik oder Stimmung, perfekt.
So auch im nächsten Satz, The Ancient. So etwas haben selbst Yes noch nie abgeliefert. Findet man die Texte schon abgefahren, so definiert einem die Musik dieses Stückes das Adjektiv 'abgefahren' noch mal neu. Ein Gongschlag eröffnet ein durchgeknalltes Rennen zwischen orientalischen Keyboardsounds, endlich mal richtig fantasievollem und genialen White-Schlagzeug, wummerndem, knurrendem Bass und einer schwirrenden, besoffenen Gitarre, die über alles hinwegfegt und, einen Haufen Themen anspielend, alles dominiert. Zwischendurch gibt es zum Heulen traurige Mellotronakkorde, die durch Bass- und Schlagzeug-Akzente abrupt unterbrochen werden. Gesang gibt es auch, und hier legt Anderson seine sonst so wundervolle Engelsgleichheit passenderweise ab und singt fast mechanisch und kalt. Toll. Das ganze geht ungefähr zwölfeinhalb Minuten, bevor man den Satz entgegen der Erwartungen mit einem versöhnenden Gitarren-Gesangs-Duett beruhigend auflöst. Lediglich zum Schluss gibt es eine klitzekleine Reprise aus dem anfänglichen Beklopptenteil.
Ritual, der vierte Satz, bildet dann einen gelungenen Abschluss des Werkes, schafft er es unangestrengt, die Stile aus allen drei vorherigen Sätzen gekonnt zu verbinden. Eröffnet von einem Präludium, das teilweise sogar ohrwurmartige Melodien beinhaltet, bleibt es in den ersten Minuten noch ruhig und gibt damit die Stimmung der ersten beiden Sätze wieder. Sehr schön ist auch wieder ein typisches Howe-*Solo*, in dem er sogar Close To The Edge zitiert. Doch dann legen die Musiker ihre Instrumente weg und holen sich allerlei Töpfe und Kochlöffel aus der Küche und fangen an drauf rumzuhämmern. Percussiv, wie im dritten Satz. Aufgelöst wird das ganze von einem erneuten, schwebenden Solo des Meisters Howe, bevor man zum Finale kommt. Der Adler erhebt sich und schwebt majestätisch über die Welt hinweg. Wundervoll.

Fazit:
Es gibt Bands, die malen mit ihrer Musik Bilder. Während mir bei The Ancient sofort ein Irrer in den Sinn kommt, der durch den Wald rast, entsteht bei mir am Ende von Ritual ein Bild eines riesigen Adlers, der königlich und herrschend seine Runde dreht.
Ob das ganze dann den Texten entspricht, sei dahingestellt- wahrscheinlich ist Jon Anderson (ähnlich Gabriel und sein Lamb-Opus) der einzige, der so richtig kapiert, was er sich da aus dem Finger gezogen hat. Abgesehen davon, dass der Text trotzdem aus dem Zusammenhang gerissen schöne und ausdrucksstarke Textzeilen beinhaltet, geht es mir darum aber auch gar nicht. Man muss nicht alles verstehen, was man liebt. Andersrum heißt 'unverständlich' aber auch nicht gleich 'genial'. Doch unabhängig davon, ob einem ein solch überambitioniertes Album nun gefällt oder nicht, kann man hier schlecht bestreiten, dass hier ein absolutes Meisterwerk geschaffen wurde. Nicht so hart wie auf Relayer, nicht so perfekt wie auf Close To The Edge, musizieren die Mannen um Meister Howe wieder mal unverschämt genial (sogar der bei mir alles andere als beliebte Rick Wakeman macht seine Aufgabe angepasst und mehr als gut) und setzen mit Tales From Topographic Oceans ein seltsames und zugleich einzigartiges Meisterwerk in die Welt, das bis heute seinesgleichen sucht und durch seine pure Schönheit immer wieder zu fesseln weiß.

 

Bewertung: 

Vergleichbar mit: 

Nichts.

 
 
 
 
 

 

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