Pain Of Salvation - Falling Home (2014)

13.11.2014 23:05

Erscheinungsjahr: 2014

Stil/ Genre: Folk, Jazz, Pop, Rock

 

Besetzung:

 

Daniel Gildenlöw - Gitarre, Gesang

Ragnar Zolberg - Gitarre, Gesang

Daniel Karlson - Keyboard, Gesang

Gustav Hielm - Bass, Gesang

Leo Margarit - Schlagzeug, Gesang

 

Titelliste:

1. Stress

2. Linoleum

3. To The Shoreline

4. Holy Diver

5. 1979

6. Chain Sling

7. Perfect Day

8. Mrs. Modern Mother Mary

9. Flame To The Moth

10. Spitfall

11. Falling Home

 

Prog Metal Bands gibt es mittlerweile einige. Waren um 1990 Dream Theater noch die gekrönten Könige im Vertreten dieser Musikrichtung (und außerdem auch fast die einzigen, die das taten), so gibt es heute einige Bands, die solche Musik (nach)machen, und das auch gar nicht schlecht. Viele davon versuchen, einfach wie Dream Theater zu klingen, während andere bereits ihren eigenen Stil gefunden haben (Haken).

Pain Of Salvation fingen auch einmal so an. Die Band um den grandiosen Sänger Daniel Gildenlöw brachte zwischen 1997 und 2002 Alben raus, die sich musikalisch nicht weit von Dream Theater bewegten. Daraufhin fingen sie aber an, eine eigene Identität zu entwickeln. Dieses Unterfangen, wie so ziemlich alles andere in dieser Band, ging von Mastermind und Bandchef Gildenlöw aus. BE war darauf ein sehr verkopftes, wenn auch tolles und hörenswertes Album, während man mit Scarsick das härteste und bodenständigste Album der Band bekam. Es blieb also immer spannend. Das Doppelalbum Road Salt (separat herausgebracht) war dann genauso eine radikale Wendung wie trotzdem irgendwie eine logische Entwicklung aus Scarsick. Wir hatten hier nichts mehr vom ursprünglichen Prog Metal der ersten Alben, nicht mal mehr Nu Metal Anleihen vom Vorgänger, sondern ziemlich retrospektiven, extrem trockenen und exzentrischen Hard Rock vor uns, der hier und da mal ein paar Progelemente gucken ließ. Die Gitarre crunchte, die Orgel zerrte, das Schlagzeug war völlig ungetriggert. Hinter all dem stand natürlich Gildenlöw, der auch als Person immer „cooler“ wurde. Dreitagebart, schulterlange schwarze Haare, Ohrringe, zerrissene Jeans, keine Schuhe und Unterhemd. Wieso auch nicht, cool sein ist cool. Klar dürfte allerdings sein, dass sich einige Fans der ersten Stunde längst abgewendet haben.

Ist Falling Home jetzt wieder was für Alt-Fans? Absolut nicht.

Zunächst einmal sollte man sich im Klaren sein, dass man hier ein Akustikalbum vor sich hat, und, dass es sich weitestgehend „nur“ um Aufbereitung alten Materials handelt.

Dabei zeigt Falling Home wieder eine konsequente Weiterentwicklung des Pain Of Salvation Sounds. Die Songs sind noch kürzer geworden (11 Songs und 48 Minuten), die Arrangements noch reduzierter und gesangslastiger (super geil die Satzgesänge), sowie auch noch retroer und natürlicher (falls das geht). Zwei Dinge sind gleichgeblieben: der exzentrische Gesang und die Stimme von Gildenlöw (klar), sowie die typische unbehagliche, problembehaftete Stimmung, die sich durch sämtliche Alben der Band zieht. Man hat irgendwie immer das Gefühl, dass Gildenlöw eine schwere Kindheit hatte.

 

Wie schon angedeutet, handelt es sich hier um ein Album mit älterem, neu aufgenommenem Material der Band. Die Ausnahme bilden hier zwei Cover, Holy Diver (Dio), und Perfect Day (Lou Reed), nebst einem neuen Song, dem Titellied. 

Stress eröffnet das Album mit Benny Goodman’s berühmtem Sing, Sing, Sing Rhythmus und der genauso berühmten „Aaah“-Melodie aus Zeppelin’s Immigrant Song, gespielt von der Orgel. Hektischer Flüstergesang setzt sein, bevor der Song zu einem humorvollen Groover wird. Klasse! Der Song hätte auf Road Salt auch seinen Platz gehabt, allerdings präsentiert er sich nicht im Hard Rockgewand. Es folgen ein Swing-Teil mit „Dubaba“-Satzgesang, undefinierbare Kicks, ein Rock ‚N Roll Part (!). Seeehr skurril, das ganze. Die Orgel darf schnarren, E Gitarren werden vermieden (ist ja auch ein Akustikalbum!), alle singen mit. Diese Version unterscheidet sich natürlich völlig von ihrer ursprünglichen, ist zwar auf eine ganz andere Art eigenartig, jedoch kein Stück weniger skurill. 

Der ursprüngliche Hardrocker Linoleum kommt nun als unbehagliches, mit Besen begleitetes Akustikklanggemälde daher. Hier wird lediglich die Instrumentierung geändert. Keine Bratzerei, kein Gehämmer mehr. Das und die abermals guten Gesangsarrangments geben dem Song aber eine sehr fließende Stimmung.

On The Shoreline wiederum kann ich wenig nachvollziehen, da das Original im Prinzip schon eine Akustikversion war. Ich bin leider kein großer Fan von Ruten beim Schlagzeug. Deshalb sagt mir auch das Original mehr zu, zumal es nicht sehr weit von dieser Version weg ist. Der Gesang ist vielleicht noch etwas präsenter, was dem Song allerdings gut steht.

Holy Diver, das Cover von Dio, ist daraufhin neben dem Opener wohl mein persönlicher Favorit und der absolute Höhepunkt des Albums. Wir haben hier Besenswing, eine Klokette auf dem Ridebecken, entspannter Gesang und kommentierende Gitarre und Keys. Also Jazz, im Prinzip. Danach darf die Orgel schweben (was gibt es schöneres als diesen Sound), und die Satzgesänge sind allererste Sahne. Der Song wird kurzerhand vom Swing zu einem Halftime-Shuffle-Reggae Mix. Das Gitarrensolo ist der Hammer. Das ist genau das Quäntchen Jazz, was mir manchmal im Prog fehlt. Und hier haben wir auch endlich mal eine Jazzreminiszenz, die auch WIRKLICH swingt. Man geht mal kurz in den Doubletime und zurück, und in ausgeschrieben Scat-Satzgesänge- absolut geil!

1979 gefällt mir hier in dieser Version etwas besser als im Original, da ich die elektronischen Spielereien des Originals auf Road Salt für etwas fehlplatziert hielt. Zwar spielt Leo hier wieder mit Ruten, aber es passt trotzdem besser. Ansonsten klingt das Keyboard noch etwas mehr retro, auch das ist ein Plus für mich. Gute Version.

Chain Sling gewinnt durch die akustische Instrumentierung etwas an orientalischem und trockenem Touch. Die Stimmung ist immer noch hektisch und unangenehm, insofern unterscheidet sich diese Version wenig vom Original. Die anderen Musiker singen kräftig mit und es wird mit viel Energie musiziert. Trotzdem hält man sich recht nah am Original.

Perfect Day ist dann das Lou Reed Cover; es erfüllt die Aufgabe der Ballade sehr gut. Die Orgel legt ein sehr schönes Fundament, die Gitarren plätschern, das Schlagzeug spielt Besenbegleitung. Der Song hätte wie er ist von Gildenlöw stammen können. Er ist extrem zerbrechlich und gefühlvoll. Ich weiß nicht, ob ich mich je mit Lou Reed anfreunden werde, aber dieser Song ist wirklich sehr gelungen, obwohl mir die Coverversion mehr zusagt als das Original. Da gefällt mir Gildenlöws kunstvoll-expressiver Gesang einfach besser als Reeds gesprochenes, und doch schlecht intoniertes Gegrummel. Nunja, das scheint an Blasphemie zu grenzen; wenn der Song von Bowie stammen würde, dann würde ich sowas wohl nicht sagen.

Bevor man endlich den einzig neuen Song zu hören bekommt, folgen noch drei (!) Song von Scarsick. Mrs. Modern Mother Mary wird allein durch das neue Arrangement von einem verschrobenem Metallkracher zu einem akustischen, beinahe poppigen Song. Die rhythmischen Holpertakte sind natürlich geblieben, genau wie auch die seltsame Stimmung.

Flame To The Moth und Spitfall gelingen meiner Meinung nach etwas weniger. Ersteres wartet mit leichten Flamenco Anklängen auf. Soll heißen, das E-F-Quitngeriffe des Originals klingt auf der Akustikgitarre einfach etwas spanisch. Das Bedrohliche und die brutale Energie des Originals bleiben aber leider auf der Strecke. Ähnlich auch bei Spitfall. Auf der Scarsick-Version rappte Gildenlöw noch über einen hektischen Nu-Metal Groove, hier flüstert er über ein Akutikgitarren-Ostinato und einen Orgelteppich. Da fehlt einfach das hasserfüllte Gefühl des Originals. Der Refrain mit Satzgesang der ganzen Band und leichter (leichter!) Reharmonisierung wiederum ist gut gelungen. Interessant ist dagegen auch, dass der Song sich stetig steigert, eine Eigenschaft, die das Original nicht hatte.

Der Closer und einzig neue Track des neuen Albums ist dann eine wunderschöne Akustikballade, wo erneut die ganze Band singen darf. Ein Lied, das traurig und sehnsüchtig macht, einfach herrlich. Es beendet das Album versöhnlich nach den kleinen Durchhängern Spitfall und Flame To The Moth. Es erinnert mich persönlich auch etwas an Lullaby von Creed, ohne vorzuwerfen, Daniel hätte hier geklaut.

 

Wie dem auch sei, die neue Pain Of Salvation lohnt sich, obwohl ich nicht genau weiß, für wen. Die alten Pain Of Salvation Fans werden mal wieder entrüstet und böse blickend die Arme verschränken; ob es schon „neue“ Pain Of Salvation Fans gibt, weiß ich nicht. Wem wäre allerdings nicht ein „richtiges“ neues Album mit neuen eigenen Songs lieber gewesen. Mir jedenfalls gefällt dieses Experiment trotzdem. Ich bin gespannt, wie es weiter gehen wird. Nach Road Salt hatte ich die Band ja im Prinzip aufgelöst, nur Daniel und Drummer Leo Margarit sind noch da. Die neuen Musiker machen ihren Job allerdings gut. Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, scheinen sie alle gut zu singen, denn die Satzgesänge auf diesem Album machen die Songs erst zu dem, was sie sind.

Falling Home ist weder mit 12:5, dem ersten Akustikalbum der Band, noch wirklich mit anderen Alben der Band zu vergleichen. Am nächsten liegt natürlich irgendwie Road Salt, doch auch hier finden wir gravierende Unterschiede. Das gebotene ist bei allem Anspruch so weit vom Metal weg wie nur möglich; es befindet sich irgendwo zwischen Folk, Jazz, Pop, mit Rock-Anleihen, welche sich aber nur deshalb in Grenzen halten, weil wir hier keine E-Gitarren finden. Interessant ist natürlich auch zu wissen, dass Gildenlöw sich nicht völlig von seinen Wurzeln trennt, denn er gräbt Songs von Entropia und Remedy Lane wieder aus. Auch, wenn sich die Quantität dieser Songs stark in Grenzen hält.

Natürlich lässt Falling Home wie auch sein Vorgänger das Metalelement, das die Band immerhin für sechs Album ausgezeichnet hat, völlig vermissen, womit er wieder viele enttäuschen wird; dennoch beweisen Gildenlöw und co. mit der konsequenten Weiterentwicklung ihres retrohaften, akustischen Sounds sehr viel Mut. Das tun heute nur noch wenige Bands, auch im progressive Bereich.

 

Oh, das Cover will ich noch erwähnen. Kurioserweise schleppt die Band ein Sofa mit sich rum, währen Daniel mit einem Chefsessel vorneweg latscht. Das lässt sich vielleicht vielseitig interpretieren. Ich dachte zuerst, das Sofa wäre ein Sarg. Vielleicht sind also die alten PoS „tot“. Auf der anderen Seite, vielleicht war das auch nur ein Hirngespinst von mir, es sieht nicht wirklich auch wie ein Sarg, nur ganz kurz. Dass Daniel einen Chefsessel trägt, heißt vielleicht, dass er der unangefochtene Chef ist. Das wäre aber irgendwie zu auffällig und auch zu arrogant, selbst für den  leicht egozentrisch wirkenden Gildenlöw. Mein dritter Gedanke war, dass sich Pain Of Salvation mit dem Sofa irgendwo häuslich einrichten wollen (Falling „Home“). Aber vielleicht fanden sie es auch einfach lustig, mit Sofa und Sessel durch die Gegend zu rennen, wer weiß.

 

 

Bewertung:

Stress und Holy Diver sind beide eine 13 wert, der Titeltrack bestimmt eine 11.

 

Vergleichbar mit:

An manchen Stellen Road Salt. Zumindest haben wir die konsequente Weiterentwicklung davon.

 
 
 
 

Mehr von Pain Of Salvation:

Pain Of Salvation - Scarsick (2007)

 

 

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