Pat Metheny Group - The Way Up (2005)

11.05.2013 17:35

Veröffentlichung: 2005

Genre/ Stil: Jazz, Fusion, ArtPop, Instrumental, Weltmusik/ Ethno, Progressive Jazz

 

Besetzung:

Pat Metheny - Gitarre

Lyle Mays - Keyboards

Antonio Sanchez - Drums

Steve Rodby - Bass, Cello

Cuong Vu - Trompete

Gregoire Maret - Harmonica

 

Titelliste:

1. Opening

2. Part One

3. Part Two

4. Part Three

 

Würde eines Tages mal ein Fanatiker des gemäßigten progressiven Rocks zu mir kommen und sagen er hätte kurzfristig beschlossen, er wolle sich fortan mit Jazz beschäftigen, er wisse aber nicht wo er anfangen soll, und er wisse so gut wie garnichts über den Jazz- so würde meine erste Empfehlung weder bei Soft Machine, Miles Davis oder gar Return To Forever, noch dem Mahavishnu Orchestra liegen, sondern höchstwahrscheinlich bei diesem Album. Denn The Way Up der lebenden Jazz Legende Pat Metheny ist der Innenbegriff dessen was ich als Progressive Jazz bezeichnen würde, auch wenn es diese Musikrichtung garnicht gibt und dieses Album konktreterweise in die Jazz Fusion oder die Jazz Rock Schublade gesteckt werden wird. Doch was ich hier höre hat genauso wenig mit Fusion wie mit Rock zu tun. Man hört hin und wieder mal eine leicht verzerrte Gitarre und höchst, aber wirklich höchst selten einen graden 4/4 Groove. Das ist alles was in die Richtung geht. Der Rest trifft genau in die Kerbe, die ich so liebe und bedient alles, was man am Progressive Rock so schätzt: Komplexität, ohne verwirrend zu sein, instrumentale Meisterleistungen, ohne angeberisch zu sein, grandiose Melodien, die einem das Blut gefrieren lassen, Ruhe- und Höhepunkte, verschachtelte aber logische Strukturen und zu allem Überfluss kein einziges gesungenes Wort! Das alles präsentiert sich allerdings im JAZZgewand, extrem filigran und präzise dargeboten. Das interessante ist hier, dass keins der pfeilschnellen Soli, keine der Schlagzeugeskapaden, keiner der unnachvollziehbaren Taktwechsel und keine Dissonanz je anfängt zu nerven, da das alles so filigran gespielt ist und man nie übertreibt. Als wolle Metheny das typische Prog Klischee bedienen packt er, um die Sache vollkommen zu machen, all das in EIN 68 Minuten langes Lied, unterteilt in ein Opening und drei weitere überlange Parts. Hört man das Album allerdings mal durch, merkt man, dass das eigentlich sinnlos ist, da es sich hier tatsächlich um ein einheitliches, zusammenhängendes Werk handelt.
Wie im Progressive Rock wird das Werk eingeleitet durch ein Präludium, das Opening, und wie im Progressive Rock üblich, beginnt es mit Soundeffekten, die aus dem Nichts kommen, aus welchen sich langsam ein Rhythmus schält, verkörpert durch mehrere Instrumente, die in verschiedenen Metren den selben Ton spielen. Scheinbar irgendwann setzt der grandiose Antonio Sanchez mit dem Schlagzeug ein. Und jetzt versucht mal mitzuzählen, ich garantiere euch, nach 5-6 Sekunden seid ihr raus ;) Es folgen rhythmisch unnachvollziehbare Lines und Kicks und ein typisches Gitarrensolo des Meisters- aha, es ist also doch Pat Metheny. Weiter werden durch mehrere Instrumente (die Instrumentenvielfalt auf diesem Album ist wirklich atemberaubend, aber wer kennt das nicht von Pat) Themen angedeutet, die später ausgebaut werden sollen. Man findet zur Ruhe, die Technik des „einen-Ton-in-verschiedenen-Varianten-Spielens“ wird wieder aufgenommen und leitet über zum ersten wirklichen Teil des Werkes. Es wird das Hauptthema vorgestellt. Eine so genial einfache Melodie wird über immer verschiedene Harmonien gelegt, damit mit jeder Wiederholung in anderes Licht gestellt und in Intensität und Spannung immer weiter hochgezogen. Das gleiche passiert einige Minuten noch einmal, nach einem weiteren genialen Solo des Meisters Metheny. Diese paar ersten Minuten des Part I würde ich als grandioseste Minuten des Albums bezeichnen. Hier kann man wirklich nicht still halten, einfach genial. Im folgenden Verlauf finden wir einige Ruhestellen, blitzschnelle, irgendwo zwischen Swing und Latin liegende Ridebeckenattacken, ultrapräzise Kicks, Synchronstellen, Soli und Frickeleien dass einem die Ohren abfallen. Das einzige was hier an Jazz im „klassischen“ Sinne erinnert sind die Trompeten und Piano Soli, unter denen eine Art verschrobener und extrem hängender 6/4 Swing holpert. Kurz vor Schluss wird das geniale Grundthema noch einmal angespielt, filigraner und versteckter, bevor man nochmal dem Jazz fröhnt und mit einem ultraschnellen Solo in den nächsten Teil überleitet. Man hört ein Schlagzeugsolo und ein Gitarrenarpeggio, das schon einmal in Part I angespielt wurde. Es wird Spannung auf- und abgebaut, und eine Melodie setzt ein, die Metheny-typischer nicht sein könnte. Ein spärischer Teil von Pianoman Lyle Mays folgt, wieder unterlegt vom Metrum gebenden gleichen Ton, gespielt in verschiedenen Varianten. „Der Protagonist sieht das Ende kommen und hat schon fast keine Hoffnung mehr“..- doch dann setzt dieser unglaublich geile Groove aus dem Opening ein, den man sofort wiedererkennt. Gitarre und Trompete duellieren sich bis zum absoluten Chaos, bevor die ganze Sache abrupt AUFHÖRT und eine zweifelnde, besorgte Gitarre einsetzt. Als wolle sie eine schlechte Nachricht überbringen. Doch dann hören wir eine tröstende Harmonika, unterlegt von Besen und dem üblich variierten einen Ton. Eine unglaubliche Atmosphäre entsteht. Steigerung, Steigerung, bis wir irgendwo in einem aus Secret Story entliehenem Basar sind. Das ganze bleibt aber sehr verhalten und ruhig. Zu einem richtigen Metrum findet die Musik erst wieder im dritten Teil, dem finalen Teil. Man findet hier wieder zum Stil des Part I, erneut wird man überrascht mit schon bekannten Melodien. Und plötzlich singt da jemand! Doch der Satzgesang reiht sich ein wie ein weiteres Instrument, als Untermalung und Harmonieerzeuger. Man merkt, dass sich die ganze Sache zum Ende bewegt; mehr und mehr Themen werden wieder angespielt und variiert, manchmal erst auch jetzt erst zu Ende gebracht. Aus einem Ruhepunkt kommt, was man schon lange erwartet: Die vierte und letzte Variation des grandiosen Grundthemas, dieses mal sehr berührend und traurig, nicht bombastisch und auch nicht übertrieben, einfach wunderschön.
Die letzten sechs Minuten bilden einen ruhigen Ausklang, der die Soundeffekte des Openings wieder aufnehmen. Hier tritt auch der einzelne Gitarrenton ein letztes mal auf, bevor das gesamte Werk ruhig wie am Anfang dorthin verschwindet wo es herkam: ins Nichts. Und das macht das Album rund und absolut perfekt im Gesamteindruck. Nebst anderen Faktoren natürlich. Zum einen weiß Pat Metheny einfach wie man eingängige, jedoch trotzdem komplexe und interessante Melodien schreibt. Das konnte er schon immer. Zum anderen gibt es viele Dinge die sich wie ein roter Faden durch das Album ziehen und immer wiederkehren. So etwa das Experiment mit dem einzelnen Ton, der intensitätstechnisch und metrisch variiert wird und ein sehr leichtes und schwebendes rhythmisches Fundament gibt. Oder immer wiederkehrende Themen, einige charakteristische Harmoniewendungen oder Arpeggien. Zu guter letzt wirkt das Werk zu keiner Stelle überladen oder gar arrogant, sondern dauernd angenehm, geradezu „schön“, ohne jedoch belanglos zu sein.

War Secret Story Pat Methenys Exkurs in die Weltmusik, so ist The Way Up vielleicht sein Exkurs in den Progressive (Rock). Metheny umfährt, bewusst oder unbewusst, ich weiß es nicht, jeden gefährlichen Eisberg der progressiven Rockmusik, springt über alle Fettnäpfchen, in die schon so viele getapst sind. Und deshalb ist es in jeder Hinsicht ein Paradewerk für jeden Progger, und wenn ichs mir recht überlege, nicht nur für jeden, der sich aus dieser Musikrichtung mehr in den Jazz begeben will, sondern eigentlich für jeden Fan moderner, gegebenenfalls experimenteller Rock- und Jazz-Musik und allem rundherum, ein Musterbeispiel für musikalisches Können, Raffinesse und Coolness, nebst absoluter Vielseitigkeit und Aufgeschlossenheit.
Und nur um die Komplexität und Durchdachtheit des Albums noch einmal deutlich zu machen: Ein hochrenommierter Dresdner Gitarrenprofessor hat sich vor einiger Zeit mit seinem aus Studenten bestehenden Fusionensemble an das Präludium des Werkes gemacht. Sie brauchten für diese 5 Minuten ungefähr ein dreiviertel Jahr. Das erklärt ja wohl alles..

 

Bewertung: 

Vergleichbar mit: 

Wie immer nur sich selbst, dieses mal auf dem Progressive Trip.

 
 
 
 
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