Steely Dan - Gaucho (1980)

25.10.2014 16:24

Veröffentlichung: 21. November 1980

Genre/ Stil: Jazz Rock, Art Pop, Jazz Pop, Fusion

 

Besetzung:

Walter Becker - Bass, Gitarre

Donald Fagen - Orgel, Synthesizer, Keyboards, E-Piano, Vocals

Anthony Jackson - Bass

Chucks Rainey - Bass

Don Grolnick - Keyboards, E-Piano, Clavinet

Rob Mounsey - Synthesizer, Klavier

Pat Rebillot - Keyboards, E-Piano

Joes Sample - E-Piano

Hiriam Bullock - Gitarre

Larry Carlton - Gitarre

Rick Derringer - Gitarre

Steve Khan - Gitarre

Mark Knopfler - Gitarre

Hugh McCracken - Gitarre

Wayne Andre - Posaune

Michael Brecker - Tenor-Sax, Gesang

Randy Brecker - Trompete, Flügelhorn

Ronnie Cuber - Bariton-Sax

Walter Kane - Bassklarinette

George Marge - Bassklarinette

Dave Sanborn - Alt-Sax, Gesang

David Tofani - Tenor-Saxophon, Gesang

Steve Gadd - Percussion, Drums

Rick Marotta - Drums

Robbie Buchanan - Klavier, Synthesizer und Gesang

Jeff Porcaro - Drums, Percussion

Bernard Purdie - Drums

Crusher Bennett - Drums

Victor Feldman - Percussion, Keyboard

Ralph MacDonald - Drums

Nicky Marrero - Schlagzeug, Timbales und Gesang

Patti Austin - Gesang, Background-Gesang

Frank Floyd - Background-Gesang

Diva Gray - Gesang, Background-Gesang

Gordon Grody - Gesang, Background-Gesang

Lani Groves - Gesang, Background-Gesang

Michael McDonald - Gesang, Background Gesang

Leslie Miller - Gesang, Background-Gesang

Jennifer James - Gesang, Background-Gesang

Zachary Sanders - Gesang, Background-Gesang

Valerie Simpson - Gesang, Background-Gesang

Zack Sanders - Background-Gesang

Toni Wine - Gesang, Background-Gesang

 

Titelliste:

1. Babylon Sisters 

2. Hey Nineteen 

3. Glamour Profession 

4. Gaucho 

5. Time Out Of Mind 

6. My Rival 

7. Third World Man

 

 

 

 

„Turn that jungle music down..“ - and put some Gaucho!

Gaucho ist eins dieser typischen Alben, nach denen eine Band zerbricht. Frei nach dem Motto, man solle ja aufhören, wenn es am schönsten ist, stellen solche Alben für mich schon irgendwie Meisterwerke dar, obwohl sie oftmals nicht so saucool hingerotzt sind wie einige ihrer Vorgänger- was oftmals an den Umständen, unter welchen diese Alben entstanden sind, liegt.

Ich zähle zu diesen Alben zum Beispiel Abbey Road, nach welchem sich die Beatles nach jahrelangem Zoff untereinander endgültig zerstritten hatten (Let It Be war für mich dann eher eine Veröffentlichung von früherem Material), The Lamb Lies Down On Broadway, das Konzeptmeisterwerk von Genesis, nach dessen zugehöriger Tour Peter Gabriel die Band verließ, oder auch The Wall, nach welchem Pink Floyd im Prinzip nur noch als Begleitband von entweder Waters oder Gilmour fungierten. Es ist eigentlich schwer zu begreifen, wie sich eine Platte, die unter Umständen wie die von Gaucho entstanden ist, zu dem entwickeln konnte, was sie schlussendlich geworden ist. Von was für Umständen rede ich?

Da hätten wir zum einen die Tatsache, dass Becker in den späten 70er Jahren keinesfalls nur der stille Nerd gewesen zu sein scheint, als welcher er auf den Fotos rüberkommt. Er hatte während der Aufnahmen einen schweren Autounfall, für den er zwar nix kann, der ihn aber ein gutes halbes Jahr ins Krankenhaus verlagerte. Nun, das Studio und die Musiker waren gebucht; so kommunizierten Fagen und Becker übers Telefon weiter. Weiterhin schien sich der unscheinbare Walter Becker im Drogenkonsum zu verlieren. Das schadete neben seiner Arbeitsdisziplin natürlich auch dem Verhältnis zum einzigen anderen verbleibenden Mitglied von Steely Dan, mit dem er sich mittlerweile allein um Komposition und Regie kümmerte. Außerdem glaube ich, dass mit einem Donald Fagen nicht unbedingt so gut Kirschwasser trinken ist, wie er es in Babylon Sisters singt.

Als wäre das alles noch nicht genug, starb dann Ende Januar 1980 auch noch Beckers Freundin Karen Roberta Stanley an einer Überdosis von was auch immer für Drogen. Dass das an seiner Stimmung und Disziplin nagte, kann sich wohl jeder vorstellen, aber jetzt stürzte sich auch noch die Familie des Mädchens auf ihn, mit der Anschuldigung, Becker hätte sie zu diesen Drogen gebracht und wäre an ihrer Sucht und damit letztendlich auch an ihrem Tod Schuld. Zwei Monate nach der Veröffentlichung des Albums war Becker in einer Gerichtsverhandlung verwickelt, in der es sich um 17,5 Mio Dollar drehte. Diese wurde am Ende aber abgelehnt.

Als nicht weniger schwierig stellten sich auch die Verhandlungen heraus, die sich um die Rechte des Albums drehten. Waner Bros. Records, MCA und die Band selbst stritten sich im Dreieck um die Veröffentlichungsrechte von Gaucho. Und kaum war das Album dann endlich mal veröffentlicht, kam dann auch noch Keith Jarrett, seines Zeichens brillante Jazzikone, angeschissen und meinte, der Titelsong würde wie eins seiner Lieder klingen. Na prima, schon ging der Stress wieder los; im Endeffekt mussten Fagen und Becker kleinbei geben und Jarretts Name steht bis heute in jeder Edition des Albums in den Credits. Als hätte der Kerl nicht schon genug Kohle und Aufmerksamkeit.

 

Nunja, ganz abgesehen von dem ganzen rechtlichen Firlefanz muss man natürlich auch beachten, dass die beiden ihre Songs auch nicht einfach so.. wie sagte ich vorhin noch.. hinrotzen. Verbarg sich Anfang der 70er hinten dem Namen Steely Dan noch eine gewöhnliche Band wie sie im Buche steht, so verblieben ab Katy Lied nur noch Donald Fagen und Walter Becker als eigentlicher Kern der Band. Von Album zu Album wuchs ihr berühmter Perfektionismus, und damit auch die Liste renommierter Gastmusiker. Nach dem Sessionwahnsinn von Aja (knapp 40 Musiker im Studio) fand dieser Perfektionismus mit Gaucho seinen Höhepunkt. Über 42 Musiker werkelten an diesem Album mit, nebst ungefähr der gleichen Menge an Produzenten, Mixenden, Masternden, Gestaltenden, und so weiter. Diesmal mit von der Partie waren unter anderem Joe Sample, Rick Marotta, Steve Gadd, Mark Knopfler, Hugh McCracken, Michael und Randy Brecker, Dave Sanborn, Jeff Porcaro, Pretty Purdie, Larry Calrton, Steve Khan.. um nur einige zu nennen. Trotz dieser Flut an grandiosen Musikern waren Becker und Fagen aber oft auch nach Dutzenden Takes mit den Leistungen nicht zufrieden, so dass nicht selten einer der virtuosen Musiker wütend und beleidigt aus dem Studio raste. Besonders was Grooves und der Genauigkeit („tighness“) anging, hatten die beiden immer was zu nörgeln. Sie waren demzufolge wohl auch mit die ersten, die versuchten, Schläge und Kicks maschinell zu richten. Mithilfe eines Gerätes, das damals den finanziellen Rahmen der Produktion natürlich komplett sprengte. Ganz zu schweigen davon, dass die Aufnahmen des Albums weit mehr als ein gesamtes Jahr im Studio in Anspruch nahmen. Und das für ein Ergebnis von knapp 38 Minuten Spielzeit. Aber wenn man das Album ein paar mal intensiv durchgehört hat, dann weiß man, dass sich diese 38 Minuten sowas von lohnen.

 

Das Album geht los mit Babylon Sisters, einem meiner absoluten Favoriten der Band. So oft erwisch ich mich dabei, bereits diesen unglaublichen Auftakt nicht richtig mitbekommen zu haben, und so oft mache ich dieses Lied nach 4 Sekunden einfach noch mal an. Wer weiß, wie oft Bernhard Purdie den einspielen musste. Der nachfolgende Groove katapultiert mich in einem saulangsamen Tempo in eine andere Welt. Der berühmte Purdie-Halftime-Shuffle. Soweit ich weiß ist Purdies Shuffle neben Bonhams der bekannteste, und andersherum ist Purdie auch bekannt für seinen Halftime-Shuffle. Und natürlich spielt ihn auch genau dieser Typ in diesem Song. Der Groove hat Drive und ist trotzdem extrem laid-back. Er schwebt und ist trotzdem erdig. In diesen Shuffle könnte ich mich reinlegen. Oben drüber spielen Bass und Gitarre ein ruhig begleitendes Motiv, eine Art punktierter Reggae, während Fagen mit dem Rhodes darüber soliert. Ein verhaltener Saxofonsatz gesellt sich dazu, der nach ein paar Kicks durch einen Forte-Piano Akkord die erste Strophe einleitet. Harmonisch ist das absolut genial gemacht. Die Strophe dazu ist so grundentspannt, dass es nur ein wenig Konzentration braucht, um auf einmal ganz anders drauf zu sein. Die Gitarre begleitet erwartungsgemäß in perfektem Timing, aber kaum wahrnehmbar, die Drums untendrunter sind busy und doch entspannend, während das Keyboard oben drüber teilweise stark alterierte Akkorde von sich gibt, die einen dazu verleiten, kunstvoll in sich rein Grimassen zu schneiden, als würde man selbst musizieren. Kurz darauf wird das Arrangement etwas voller, es kommen Backgroundsängerinnen dazu. Genau bei den Worten „Shake it“ shaked und bounced der Gesang auf einmal. Fagen singt mit den Backgroundsängerinnen Frage und Antwort. Es ist schwer herauszufinden, welcher Teil hier nun der Refrain ist. Hier und da scheinen Themen angeschnitten, aber nicht zu Ende gebracht zu werden, was im Fluss des Songs erstaunlicherweise perfekt passt. Die nächste Strophe wird dann von einer gedämpften Trompete umspielt, meines Wissens gespielt von Randy Brecker. Der Saxofonsatz schleicht sich auch wieder ein, bevor Randy Brecker sein eigentliches Solo spielen darf. 

Der Song bewegt sich die ganze Zeit auf einem ungefähr gleichbleibenden Niveau, überzeugt aber durch eine extrem fließende Stimmung. Nur zum Schluss wird das Arrangement etwas dichter. Der Fade-Out am Ende des Songs wurde über 55 mal verändert, bis Fagen und Becker ihn endlich so hatten, wie sie ihn wollten. Ich bin eigentlich gar kein Fan von Fade-Outs, aber hier passt er, wie bei einigen Steely Dan Songs, doch erstaunlich gut.

 

Babylon Sisters ist wie gesagt einer meiner liebsten Songs von Steely Dan, und er folgt auch einem Prinzip, welches ich für die Band typisch sehe. Wir haben hier einen scheinbar einfachen Song, der entspannt ist, den man auch gern mal mit seiner Freundin auf dem Sofa anhören kann, in dem sich allerdings zahllose kleine Details offenbaren, wenn man nur mal genau zuhört. Die hochinteressanten Rhodes-Akkorde, die teilweise so unauffälligen Saxofonarrangements, dass man sie fast als versteckt bezeichnen könnte.. Und natürlich auch der herrliche Text, mit dem geradezu gemalt wird. Drive west on Sunset to the sea - da ist man schon völlig weg aus dem Alltag. Close your eyes and you’ll be there - und her mit der Muschel und dem Kirschwasser.

 

Weiter geht es mit Hey Nineteen, einem typischen Steely Dan Groover im 120bpm Tempo. Der Groove ist minimalistisch wie auch der Rest des Arrangements und alles sitzt natürlich genau dort wo es soll. Am Anfang haben wir ein kurzes Gitarrensolo, das abgelöst wird von einem Keyboardsound, der mich an spätere Pat Metheny Sachen (Cathedral In A Suitcase, Secret Story) erinnert. Die Harmonik ist hier größtenteils wesentlich einfacher gehalten als bei Babylon Sisters. In der Strophe wird Fagens Stimme durch Keyboard und Gitarre begleitet, aber trotzdem ist das Arrangement so durchsichtig, dass man an manchen Stellen nur Schlagzeug und Bass hört, hin und wieder auch nur einen Snareschlag. In der Tat besteht die Begleitung lediglich aus kurzen Kommentaren zwischen Gitarre, Rhodes und Gesang.

Interessant bei diesem Lied ist, dass hier weder Streicher noch irgendwelche Bläser vorzufinden sind. Ich bin mir sicher, dass das eine bewusste Entscheidung war, um das Arrangement minimalistisch zu halten. Dafür gibt es ab ca. der Hälfte des Songs eine kaum wahrnehmbare Bongopercussion von Steve Gadd (!) zu bewundern. Wow, welche Band kann schon von sich sagen, sie hätte Steve Gadd als Bongospieler dabei.

Der Song mündet in einer Art Mini-Jamsession, bevor er ausgefadet wird. Nineteen ist im Großen und Ganzen einfach ein ultracooler Song, der nichts anbrennen lässt. Auch hier haben wir eine scheinbare Schlichtheit, eine vorgegaukelte Einfachheit. Doch bei jedem genaueren Hören findet man neue liebevolle Details.

 

Der längste Song der Platte, Glamour Profession, fährt nicht etwa das zweite Progressive Meisterwerk der Band in Richtung Aja auf, sondern präsentiert sich in einem verschrobenen, schrägen Discogewand mit einem ultracoolen Groove, der von Steve Gadd den gesamten Song durchgezogen wird. Von Anfang an mischt sich aber unter den fast sterilen Discobeat eine überaus eigenartige Stimmung, auf mich wirkt es etwas unbehaglich, seltsam. In dem Zusammenhang kommt mir hin und wieder auch David Bowies Fashion von seinem Album Scary Monsters in den Sinn, welches interessanterweise nur zwei Monate vor Gaucho erschienen ist (kein Plagiatsvorwurf), nur dass Glamour Profession natürlich völlig Steely-Dan-typisch wesentlich weniger trampelig und geholpert rüberkommt, sondern viel subtiler, fließender, und ohne Fripps ausgefrippte Gitarre.

Die Harmoniefolge vom Anfang des Songs ist bereits hochinteressant. Anthony Jackson spielt am Bass ein saucooles Lick. Darauf kommen die typischen Saxoföner und ein leicht romantisches Jazz-Klavier dazu. Es ist wohl fast überflüssig anzumerken, dass wir hier mal wieder ein geniales Arrangement vor uns haben, mit versteckten Einzelheiten an jeder Ecke. Der Saxofonsatz, der Fagens Gesang mal umspielt und im nächsten Moment begleitet, die alterierten Keyboardflächen, die dem ganzen seinen fließenden Charakter geben, eine selten kommentierende Stratocaster, und natürlich die typischen unvorhersehbaren Akkordfolgen. Interessant ist, dass der Song trotzdem seinen minimalistischen Charakter behält. Der Song wird abgeschlossen und ausgeblendet mit einem bluesig-jazzigen Gitarrensolo. 

 

Der Titelsong ist ein weiteres hochinteressantes Stück Musik. Bereits in der Einleitung haut es mich jedes mal um, wie ultimativ spät jeder Snareschlag gesetzt ist. Gaucho beginnt mit einem Saxofonsolo, in guter Stimmung, fast sorglos. Die Strophe ist gespickt mit ein paar rhythmischen Gemeinheiten und sehr seltsam strukturiert, bleibt aber trotzdem sehr eingängig. Selbst die scheinbar einfache Gesangsmelodie basiert auf Synkopenketten und streckt sich über eine ziemlich große Range. Der Refrain wird gesungen von mehreren Sängerinnen, die Rhythmusgitarre und die Ghostnotes der Snare lassen das ganze sehr schön bouncen. Im Hintergrund tut sich ein tierischer Keyboardteppig auf. Die Melodie ist absolut genial. Der nachfolgende Teil ist einfach nur saukomisch. Wir hören einen Trompetensatz wie aus einer Mariachiband, allerdings so gut in den Popkontext eingebunden, dass man den Humor dahinter erst garnicht hört. Die Trompeten spielen so richtig schön in Terzabständen und kleben in ihren mexikanisch anmutenden Vierteltriolenketten so herrlich, dass man fast lachen muss.

Auch hier hört man bei genauem Aufpassen immer mal eine Triangel, die den Groove umspielt, ein kommentierendes Klavier, eine schimmernde Percussion, oder ist überrascht, wenn man bemerkt, dass die Gitarre fast die ganze Strophe lang die Gesangmelodie mitspielt. Gaucho ist für mich in seiner Einmaligkeit (so komme mir keiner mit Keith Jarrett) ein hochinteressantes Stück Musik, grandios arrangiert und gespielt, mit einem sehr interessanten Text, den ich zwar wie immer bei Steely Dan nicht verstehe, der aber zumindest zum nachdenken anregt. Es wird sich wohl um etwas gesellschaftskritisches bezüglich Einwanderung handeln.

Dieser Song war wie gesagt der Song, wegen welchem Keith Jarrett angelatscht kam und meinte, er hätte den schon 10 Jahre früher geschrieben. Jarrett wünscht sich vielleicht, sein Long As You Know You’re Living Yours wäre so vollkommen und vielseitig geworden wie Gaucho. Es handelt sich um zwei Stücke, die einfach in ähnlichem Tempo sind, sich auf ionischem (!) Tonmaterial bewegend, mit besonderer Achtung auf die große Terz. Bäm, schon hat man aus Versehen ein Plagiat veröffentlicht, und kaum hat es Erfolg, kommt auch schon Keith Jarrett an und meint, sich in seiner Würde verletzt fühlen zu müssen. Wie dem auch sei, der Richter fand wohl auch, dass die beiden Songs ähnlich klingen, deswegen steht Jarrett jetzt in jeder Edition von Gaucho beim Titelsong als Co-Komponist in den Credits.  

 

Und wenn wir schon bei Ähnlichkeiten sind; was ist eigentlich mit dem Groove von Time Out Of Mind? Das ist doch Billy Jean, oder? Das klingt so ähnlich, dass ich erst meinen Ohren nicht trauen wollte. Billy Jean kam aber erst ganze zwei Jahre später. Aber es kam noch krasser, denn als ich Gaucho zum ersten mal hörte, war mir nicht bewusst *wen* ich gerade alles spielen hörte. Doch als die Gitarre den ersten Slide von sich gab, war mir sofort eines klar: DAS hier ist MARK KNOPFLER. Er musste es einfach sein, niemand spielt auch nur annähernd so. Ich habe direkt daraufhin nachgeschaut und konnte triumphierend feststellen, dass ich Recht hatte. Umwerfend, ich verlieb mich gerade in eine Band und stelle fest, dass einer meiner beiden Alltime Favorite Gitarristen hier mitspielt. Knopfler spielt sehr wenig in diesem Song, aber er verfeinert einfach den ganzen Song an allen kleinen Ecken und Enden. Er kommentiert einfach ALLES ohne dass es stört. Sehr interessant; im Mittelteil spielt eine Gitarre ein Thema, die mit hundertprozentiger Sicherheit nicht von Knopfler gespielt ist.

Alles sitzt mal wieder so derartig auf dem Punkt, wie es nur möglich ist. Und wer weiß, wie lang Becker und Tagen für diesen FadeOut gebraucht haben. Der bekannte, verhaltene Saxofonsatz ist auch wieder da, und zusammen mit Steve Gadds superben Groove lässt einen dieser Song einfach nicht ruhig sitzen. Wieso läuft sowas nicht in Discos? Das ist die tanztbarste Musik die kenne.

 

My Rival schlägt wieder etwas in die Kerbe von Glamour Profession. Ich fühle mich erneut an Bowies Fashion erinnert. Der Groove ist laangsam, discoeusque, die Stimmung extrem seltsam und verschroben. Es spielen ungefähr 400 Gitarren gegeneinander, und manchmal glaubt man binnen 10 Sekunden alle Keyboardsounds, die es 1980 auf der Welt gab, gehört zu haben. Hier mal ein Rhodes, ein Synthie, eine Orgel- und trotzdem ist das Schlagzeug Hauptaugenmerk. In der Tat ist der Song so seltsam, dass er mit Sicherheit derjenige ist, der mir auf Gaucho am wenigsten gefällt. Der Refrain und das Arrangement reißen es raus. Sehr geil sind hier auch die Percussioninstrumente, besonders die völlig unkonventionellen Timbales. Die Solosektionen sind dann wieder herrlich, wo sich verschiedene Keyboardsounds, Gitarre und Saxofone gegenseitig umspielen.

Nun gibt es ja einige im Nachhinein veröffentlichte Outtakes aus den Gaucho Sessions, einer davon ist ein Demo eines Songs namens The Second Arrangement. Der sollte eigentlich auf das Album, aber nach Monaten harter Arbeit hat irgendein Hilfsassistent gute 70 Prozent des Songs aus Versehen gelöscht. Ein weiterer Schlag in die Fresse von Fagen und Becker. Irgendjemand wollte wohl nicht, dass Gaucho je das Licht der Welt erblickt. Ich sag es mal so, wenn Babylon Sisters auf Gaucho gefehlt hätte, wäre es für mich nur halb so gut. Second Arrangement dagegen wäre eine nette Ergänzung gewesen, es hätte aber bedeutet, das der Third World Man den Hut hätte ziehen müssen. Es gab einen weiteren nicht produzierten Song aus diesen Sessions, namens Kulee Baba. Ein schneller Groover mit einem sehr geilen Rick Marotta Beat. Zu dem hätte ich nicht nein gesagt, sehr cooler Song, der für mich gern hätte My Rival ersetzen können.

Third World Man ist jedoch ein sehr guter Closer, eine der sehr wenigen Balladen von Steely Dan. Er beginnt mit einem extrem hängenden Gitarrenpattern, tiefen Basstönen und Rhodesbegleitung. Für mich verbreitet der Song eine extrem einsame Stimmung. Liegt vielleicht an der hängenden Gitarre, die einen dann sozusagen auch „hängen lässt“. Sofort mit Fagens Gesangseinstieg kommt etwas mehr Hoffnung auf. Der Song sackt aber immer wieder in das Pattern ab. Der Refrain wird gesungen von einen mehrstimmigen Satz, der undefinierbare Akkorde formt. Ein leicht verzweifelte, immer noch einsame Stimmung wird verbreitet, großes Kino. Der Song kommt nie richtig zur Sache. Immer wenn ein Gitarrensolo o.ä. gerade etwas Fahrt aufnimmt, oder die Harmoniefolge zu einem Höhepunkt aufzusteigen scheint, wir auch schon wieder runtergefahren. Ein hochinteressanter Song, für den ich sehr gern auf The Second Arrangement verzichte. Er klingt  in gewisser Weise auch wie ein Schwanengesang. Als wäre die Zeit jetzt gekommen für Steely Dan, mal eine zwölfjährige Pause zu machen. Der Song lässt einen einfach so dastehen wie hingestellt und nicht mehr abgeholt. Das macht für mich seinen besonderen Charakter aus.

 

Und wie gesagt, nach Gaucho sollte das Projekt Steely Dan erstmal für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt werden. Nach dieser Spitze, auf die es die beiden hier gebracht haben, gibt es auch kaum noch eine logische Fortsetzung der Reihe Royal Scam - Aja - Gaucho. Letzteres ist aber wirklich ein beeindruckendes Finale einer einzigartigen Entwicklung- und ist für mich in gewissen Hinsichten auch unerreicht. Nie haben derartig tiefe, komplexe Arrangements so leichtfüßig und durchsichtig geklungen. Nie bestand ein Album lediglich auch Drumgrooves, die so derartig grooven und sitzen, dass es fast unmöglich ist. Und wohl fast nie standen Ergebnis und Umfeld eines Werkes in so krassem Gegensatz wie hier. Gaucho klingt absolut locker, scheinbar einfach, sorglos, teilweise fast leichtfüßig. Was dahinter steckt, hört man, wenn man genau hinhört. An jeder Ecke finden sich winzige Details, die diese Musik von Loungemusik zu Kunstmusik machen.

Wenn man also ein perfektes, perfekt klingendes Album sucht, sollte man auf Gaucho zurückgreifen. So, und jetzt reicht mir endlich die verdammte Muschel mit dem Kirschwasser.

 

Bewertung: 

Vergleichbar mit: 

Diese Musik kann man nicht mal einer Musikrichtung zuordnen. Ne, die ist mit nix vergleichtbar.

 

 

 

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