Beardfish - Destined Solitaire

06.01.2016 18:13

Veröffentlichung: 2009

Genre/ Stil: Retro-Progressive Rock, Crossover, Zappaesque

 

Besetzung:

Rikard Sjöblom - Gesang, Keyboard, Gitarre, Akkordeon

Robert Hansen - Bass, Gesang

Magnus Östgren - Schlagzeug

David Zackrisson - Gitarre, Gesang

 

Titelliste:

1. Awaken The Sleeping

2. Destined Solitaire 

3. Until You Comply (Incl. Entropy)

4. In Real Life There Is No Algebra

5. Where The Rain Comes

6. At Home... Watching Movies

7. Coup De Grace

8. Abigail's Questions (In An Infinite Universe)

9. The Stuff That Dreams Are Made Of

 

 

Beardfish sind bereits seit Jahren nicht mehr die kleine Spock’s Beard Alternative für Leute, die die immer gleiche Neal Morse Musik satt haben. Die Band hat sich mittlerweile zu einem kontinuierlich präsenten Retro Prog Act entwickelt, der ein hörenswertes Album nach dem anderen auf den Markt wirkt. Hinter all dem steckt natürlich Gitarrist, Keyboarder und Sänger, sowie Mastermind der Band, Rikard Sjoblöm, welchen man mittlerweile guten Gewissens mit den großen Komponisten des Subgenres in einem Atemzug nennen darf. Die Rede ist natürlich von Leuten wie dem bereits genannten Neal Morse, seinem Kollegen Roine Stolt (obwohl Sjoblöm meiner Ansicht ein weit besserer Gitarrist als Stolt ist), wie auch Steven Wilson oder Daniel Gildenlöw.

Beardfish bieten einen recht frischen, wenn auch (im positiven Sinne) sehr altmodischen Mix aus vielen Genres. Die Orgel röhrt fast durchgängig, die Rhythmik ist abwechslungsreich bis vertrackt, die Stimmung meist irgendwo zwischen verschroben-düster und durchgeknallt-frech. Ja, ganz recht; bei dieser Band treffen eindringliche Liebesgeschichten auf BeeGees-Parodien, Wiener Walzer auf Canterbury, vereinzelte Growls auf fragile Pianoballaden, Kirmessounds auf gerappte Strophen. Reminiszenzen der üblichen Verdächtigen Genesis, ELP, Soft Machine, Crimso und Frank Zappa machen sich breit, aber an vielen Stellen höre ich die Band seltsamerweise auch als skurrile Symbiose aus Mumford & Sons, Haken und Pain Of Salvation seit Scarsick.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Musik von Beardfish zu jeder Zeit sehr eigen klingt, wenn sich die Band auch mit jedem Output etwas neues vornimmt. Das neuste Werk, +4626-Comfortzone, zum Beispiel, ist ein Album, was sich auf der konventionellen Seite der Band bewegt. War das hier vorliegende Destined Solitaire noch ein wahnsinnig vielseitiges Album mit allerlei Canterbury-, Zappa- und Fusionanleihen, und The Void ein für die Band ungemein heavyes Stück Musik, so gibt sich der letzte Output ziemlich organisch, beinahe ruhig und eignet sich so perfekt als Einstieg für Nichtkenner der Band.

Nun, so einfach wurde es mir nicht gemacht. Ich bin mit Destined Solitaire eingestiegen und es war wahrlich keine ganz einfache Geburt.

 

Man schrieb das Jahr 2009, ich war 16, frisch gebackener Fan von Dream Theater, Spock’s Beard und anderen, sagen wir, szenebekannten konventionellen Retro-Progressive Rock und Metal Bands. Mit Sachen wie Frank Zappa, Zeuhl oder anderem Avantgarde Prog hatte ich mich noch nicht beschäftigt und mit Größen wie Crimso, VdGG und Gentle Giant konnte ich mich noch nicht anfreunden. Ich war Freund von Musik der großen Geste, hatte gerade den länger als 18 Minuten andauern müssenden Longtrack als wohl mein liebstes Musikformat entdeckt und hörte so ununterbrochen The Odyssey, Octavarium, The Great Nothing, Harvest Of Souls oder Duel With The Devil. Nebenbei; Zeuhl und solchen abgefuckten Kram mag ich bis heute nicht. 

Und dann kamen auf einmal Beardfish mit einem Album, dessen Cover auf den ersten Blick ungefähr das porträtieren dürfte, was im Hirn eines schwer Schizophrenen vor sich geht, in Wirklichkeit aber eine überaus abstrakte Darstellung des musikalischen Querschnitts bietet, der uns in den folgenden 77 Minuten erwartet. Oder ist es doch nur das „Zeug, aus dem Träume gemacht werden“?

 

Der erste instrumentale Song, Awaken The Sleeping, macht erstmal genau das, was sein Name suggeriert. Den Hörer erwecken, wachrütteln; aufgepasst, hier kommt was Abgefahrenes. Der Song selbst stellt einige Themen vor, variiert sie geschickt, und wiederholt sie erstaunlich oft. Dabei offenbaren Beardfish auch gleich ein typisches Trademark, welches man als Schwäche bezeichnen kann, wenn man will. Sie breiten Themen gern lang und weit aus, wiederholen sie zwei, dreimal mehr als man denkt, und werfen sie dann unerwartet einfach weg. So beschrieben klingt diese Eigenschaft definitiv nach einer Schwäche, es trägt aber auch zum Spielwitz und der frechen Art der Band bei. „Ach, ihr dachtet, jetzt kommt das nächste Thema? Nö wir spielen es einfach noch vier mal.“. Oder „Ach, ihr mochtet dieses Thema? Zu blöd, das kommt nie wieder, verarscht.“. Ansonsten bewegt sich der Opener noch im relativ konventionellen Bereich. Die Stimmung variiert andauernd zwischen dramatisch-bedrohlich und kindlich-verspielt. Die Orgel röhrt die ganze Zeit. Sehr lustig der kurze Swingteil nach 4 Minuten, auch wenn ich im Prog noch kaum eine Jazz-Reminiszenz gehört habe, die wirklich geswungen hat, und da schließe ich tolle Bands wie Haken oder eben Beardfish mit ein. Pain Of Salvation sind ein Gegenbeispiel. Trotzdem eine nette Idee. Der Song wird beendet durch eine Shine On Anlehnung mit Keyboardflächen und einem Rauschen, das direkt in den nachfolgenden Titeltrack überleitet.

 

Dieser geht dann schon ein Stück weg vom typischen Retro-Progressive Rock, in dessen Schublade die Band gern gesteckt wird. Die Gitarre legt für Beardfish Verhältnisse ziemlich rockig los (The Void lag noch in der Zukunft) und die Stimmung ist problembehaftet und einsam. Passend dazu der Text, in dem es um einen, nun ja, „zum Einzelgänger bestimmten“ Mann geht, der seinen trüben Gedanken freien Lauf lässt. Verbittert trifft es wohl ganz gut. Verse wie

„I would really like to be the source of someone’s misery. I would really like to be the everything for someone, just like you.“ 

oder 

„It’s been 900 fucking cigarettes since she left me, but I was the source of her misery“. 

 

sind Geständnisse, in denen ne Menge Gefühl drinsteckt, wenn auch kein unbedingt gutes. Musikalisch wechselt man immer wieder zwischen ruhig und laut, trotzdem ist der Song recht straight und lässt die ganz großen Genrekehrtwenden noch bleiben. Naja, bis auf die Growl Passage. Ganz recht, die Growl Passage. Trotzdem fordert einen bereits dieser Song schon ziemlich heraus. Auch, wenn der Großteil der musikalischen Abgefahrenheiten noch vor einem liegt.

Jetzt aber. Until You Comply ist der längste Song des Albums und fordert den Hörer schon ziemlich. Viele Bands handhaben es so, den längsten Song absichtlich als Höhepunkt an den Schluss des Albums zu setzen. Nicht so Beardfish, denn Until You Comply ist auch nicht der Höhepunkt des Albums, und das ist, so seltsam es klingt, auch garnicht negativ gemeint. Das Werk lässt sämtliche - wie nannte ich es vorhin noch - große Gesten vermissen. Statt großen Klangteppichen, heroischem Gesang und weiten Melodiebögen haben wir tight gespielte Rhythmusarbeit, teils zickige Motive, überdeutliche Canterbury-Anleihen und einen überaus seltsamen Text, der scheinbar den Zwang, allem zu folgen was jeder andere tut, zu kritisieren versucht. Ein Mann, der einfach nur seine Ruhe haben will, wird geplagt von einer inneren Stimme, die ihn zwingt, aus dem Haus zu gehen, das Leben kennenzulernen, nur um den gleichgültigen menschlichen Einheitsbrei zu entdecken. Er sieht ein Mädchen, das auf der Straße Tambourine Man singt und fragt sich, was Bob Dylan wohl grad macht. Sitzt er zu Hause und futtert Cornflakes? Der Gedanke gefällt ihm und er beschließt, das gleiche zu tun, sobald er aus dieser seltsamen Welt wieder in sein trautes Heim flüchten kann. Doch Stimmen lassen nicht locker, bis er angepasst und konform ist.

Nicht weniger absurd ist die Musik zu dieser eigenartigen Geschichte. Wir haben kein Präludium, sondern sind sofort im Thema drin; die Musik ist etwas hektisch und wenig charmant. Man könnte auch sagen, sie macht keinen großen Hehl aus sich selbst. Die Harmonik weist jazzige Anleihen vor, Sjöbloms Gesang ist kalt und trotzdem irgendwie eindringlich. Es gibt wieder mal einige detailverliebte Gimmicks, wie die Textstelle „Footsteps, a car“, bei der Getrampel und eine Autohupe zu hören ist oder die kurz darauf folgende Tambourine Man Stelle, in der man auch tatsächlich Tambourine Man im Hintergrund hört. Nach knapp 5 Minuten wendet sich die Musik einer ruhigeren Passage zu. 3 Minuten später wird es richtig skurril, wenn die Band dem Hörer einen waschechten Walzer um die Ohren knallt, der nicht nur eine kurze, verstörende Passage einnimmt, sondern (hier und da zwar unterbrochen) über gute 5 Minuten ausgedehnt wird. Und wir hören Gequieke, Geschreie, Geplapper, einen Chor aus scheinbar besoffenen Männern - Sjöblom ist wirklich ein unglaublich vielseitiger Sänger. Abgeschlossen wird der Song durch eine ruhige Klavierreprise eines Themas vom Anfang. Abgefahren.

Der nächste Song trägt den seltsamen Namen In Real Life There Is No Algebra und wird diesem auch mehr als gerecht. In gerade mal viereinhalb Minuten komprimiert die Band hier so viele Informationen, dass die „Im-Prog-muss-jeder-gute-Song-über-12-Minuten-lang-sein“-Fraktion entgültig verstummen dürfte. Dabei ist das Grundgerüst nicht mehr als ein halftimeshuffliger, leicht funkiger Grooverhythmus mit leichten Reggaeanleihen. Synchronläufe, Stimmungswechsel, Spät-50er Jahre „Uuuh“-Satzgesänge, Yes-Gitarren und eine Rapeinlage (!) tun ihr Übriges. Textlich dreht es sich erneut um Konflikte innerhalb des Hirns eines scheinbaren Außenseiters und den Einfluss von Medien (und vielleicht dem konfusen Schulsystems?) auf dessen Denken. Am Ende taucht auf einmal die überraschende Erkenntnis auf, dass aus dem Außenseiter, der zu blöd war um Algebra zu lernen, ein moderner Einstein geworden ist. Nunja, es ist ja kein Geheimnis, dass auch Einstein nicht der hellste in der Schule war. Es ist allerdings schwer zu sagen, worum es in diesem Song genau geht. Der Text liest sich jedenfalls äußerst nett und die Musik dazu ist mal wieder gewieft mit Spielwitz und Leichtigkeit. Nicht zu ernst nehmen!

Where The Rain Gets In scheint mit sehr bildhaften Metaphern das Leben eines erfolglosen Musikers zu beschreiben. Er wohnt in einem alten Haus auf der Lone Street in Opressionville, wo alles, was man hört, Musik und Regentropfen sind, die durch ein Leck im Dach kommen. Irgendwann bricht der Protagonist ein und fällt vom Balkon - das Musikerleben hätte ihn beinahe umgebracht. Er entscheidet sich dafür, sich einen Job zu besorgen, nur um dann wieder zu seiner Bestimmung zurückzulaufen, wie eine Ente zum Wasser. So jedenfalls meine Interpretation der Lyrics. 

Musikalisch bekommen wir mal wieder eine unglaubliche Weite an Gefühlen um die Ohren geschmissen, die trotzdem verblüffenderweise zu einem recht organischen Ganzen verschmolzen wird. Der Anfang erinnert an den Song Roulette vom ersten Sleeping In Traffic Album, kurz danach denkt man kurz die Flower Kings zu hören. Die Strophe ist zunächst beinahe entspannt, kurz darauf auf einmal extrem spannungsgeladen. Der Halftimeshuffle in der Mitte erinnert dezent an Gentle Giant und wieder einmal Frank Zappa. Sehr gelungen ist das Telefonat des Protagonisten mit einem Büroangestellten, in dem ersterer einen Job sucht:

„Maybe I could get my hands on one of those things that keep people occupied.

whaddaya call’em…?

You mean jobs?

Yeah, jobs, that's it, a daytime job! I'm done with this bullshit!“

 

Auch hier haben wir wieder eine skurrile Geschichte, die zuerst harmlos anfängt, aber dann so aus dem Ruder läuft, dass man stellenweise garnicht mehr weiß, was Sjöblom einem eigentlich sagen will.

At Home (Watching Movies) ist ein kurzes Interludium und gehört für mich im Prinzip schon zum nachfolgenden Coup De Grace. Musikalisch haben die beiden bis auf den kurzen Spoiler eines Themas von Coup De Grace nicht viel gemeinsam, aber sie passen auf eine seltsame Art und Weise zu einander. Der Text ist dieses mal so kurz wie unverständlich. Sehr geil die psychedelischen Spielchen gegen Ende.

Das bereits angesprochene Coup De Grace ist das zweite Instrumental und vielleicht mein Favorit des Albums. Hier haben wir dem Namen entsprechend starke melodiöse Anleihen an französische Chansons und natürlich das obligatorische Akkordeon, welches (WAS für ein Multitalent) auch noch von Rikard Sjöblom gespielt wird. Die Grundmelodie des Songs ist schlicht grandios. Das scheint der Band auch aufgefallen zu sein, woraufhin sich wieder das Trademark der Band breitmacht, Themen ungewohnt oft zu wiederholen. Meine liebste Stelle ist kurz vor der 2 Minuten Marke, wo die Band aussetzt, die Orgel ein bis zwei Sekunden wummert und faucht und die Band wieder in den Song katapultiert. Das Akkordeonsolo ist sehr geil und erstaunlich souverän gespielt (was hat dieser Typ eigentlich nicht drauf?). Der Abschluss ist für die Verhältnisse dieses Albums sehr rund und magistral. Coup De Grace ist vielleicht der Song, der sich am ehesten außerhalb des Albumkontextes hören lässt. Ein wunderbares Stück Musik.

Abigails Questions (In An Infinite Universe) beginnt mal wieder harmlos, baut aber im Mittelteil erneut Abgefahrenheiten auf, die sich einen fragen lassen, wie man (musikalisch) eigentlich an diesen Punkt gekommen ist. Trotzdem bleibt der Song verhältnismäßig ruhig, was nicht heißen soll, wir hätten hier ein entspanntes Stück Musik vor uns. Im Mittelteil glaubt man zeitweise wieder mal Zappa oder Gentle Giant zu hören, besonders was die schnellen Gesangs-Orgel Synchronstellen angeht. Weitere, ruhigere instrumentale Parts schließen sich an, die allesamt eine relativ eigene Atmosphäre haben, die schwer zu beschreiben ist. Besonders gefällt mir hier das Schlagzeug, das trotz aller Busyness ziemlich die Ruhe reinbringt, und die Interaktion zwischen Orgel und Gitarre, die sich mit Melodien und Kommentaren immer abwechselnd umspielen.

Sjöbloms Keys weisen hier auch eine beachtliche Weite an retrohaften Sounds auf. Von einem mit Flanger und Wah belegten Rhodes über Clavinett bis hin zum obligatorischen Moog grast man hier alles ab, was die 70er Jahre zu bieten hatte. Grandios die seltsame Stelle, an der eine elektronisch erzeugte Frauenstimme irgendwelche „galactic space“ Informationen ansagt, die ich allerdings nur sehr schwer deuten kann. Generell ist der Text mal wieder nur teilweise verständlich. Es geht zumindest ansatzweise um die Unendlichkeit des Universums und damit verbunden die Unendlichkeit sämtlicher Formen, Objekte und Einheiten. Was genau diese Abigail damit zu tun hat, ist mir allerdings schleierhaft.

Der abschließende Song mit dem ziemlich coolen Namen The Stuff That Dreams Are Made Of ist wieder erneut weder Ballade, noch Bombastkiller, sondern ein weiterer frecher, beinahe zickiger Song, der dem Album einen äußerst unrunden Schluss verpasst. Strophe und Refrain (wenn man das so bezeichnen will) sind saucool hingerotzt und der Instrumental ist so trocken wie es nur geht. Auch hier fühle ich mich an Pain Of Salvation erinnert. Aber der groovende und knarzende Bass und die trockenen, mit viel Ghostnotes gespielten Drums erinnern an gewisse Herren Squire und Bruford. Der Text stellt den Tod interessanterweise als eine Frau dar; ein Gedanke, den ich garnicht mal so absurd finde. 

Dieser Song wäre eigentlich recht konventionell, wenn die letzten 3 Minuten nicht noch mal völlig neu ansetzen würden. Hier fängt auf einmal ein Tony Banks Solo an, wie es im Buche steht, mit Mellotron, Orgel, verschiedenen Moogleads und Mellotronflöten. Das Schlagzeug ist busy, die Stimmung leicht hektisch - fantastisch! Man hat es selten, dass ein Album 3 Minuten vor Schluss noch mal komplett neu Anlauf nimmt. Letztendlich hört der Song auf und setzt dem absurden Element von Destined Solitaire die Krone auf. Nichtsdestotrotz ist dieser Abschluss einer meiner liebsten Passagen des Albums. Er verleiht den Eindruck, man hätte nur einen kurzen Einblick in eine Welt bekommen, die bereits existiert hat, bevor man das Album angemacht hat, und auch noch weiter existieren wird, wenn man es wieder ausmacht.

 

Destined Solitaire hat somit keinen Spannungsbogen, sondern ist irgendwie ein fetter Block anstrengender, wenn auch hochinteressanter Musik; ein Zug, der schon fährt, wenn man einsteigt, und weiterrast, wenn man aussteigt. Kein Bombast, keine Balladen, keine Liebesschnulzen. Das gibt der ganzen Sache noch eine zusätzliche Unperfektheit, ohne die (neben dem bereits genannten Humor und Spielwitz) die Musik einem einfach nur auf den Sack gehen würde. Doch hier heißt es, sich auf sowas mal einzulassen.

Die Texte behandeln in den meisten Fällen irgendwelche innerpsychischen Probleme, Typen, die mit sich selbst irgendwie nicht klarkommen, und Fragen, die sich die Menschheit schon länger stellt, wie Unendlichkeit oder Tod. Dabei scheinen sie im Verlauf des Albums nicht nur immer unpersönlicher, sondern auch unverständlicher werden. Sjoblöm weist dabei eine enorme Wortgewandtheit auf, die man jemandem, dessen Muttersprache nicht Englisch ist, kaum zutrauen würde.

Trotz aller Abgefahrenheit bewegen sich Beardfish, wie schon auf den letzten Alben, rhythmisch beinahe immer in sicheren Gefilden. Verquere Polyrhythmiken, plötzliche rhythmische Umdeutungen oder vier Taktartwechsel in nur drei Takten findet man auf diesem Album nicht. Dafür bin ich aber auch ganz dankbar; wenn ich jetzt auch noch auf Panzerballett ebenbürtige Rhythmik achten müsste, würde wohl meine Birne explodieren.

Das Album ist sehr transparent und nicht zu fett produziert, das unterstützt die Leichtigkeit und Lässigkeit der Musik. Gitarre und Schlagzeug klingen bisweilen geradezu furztrocken und der Bass schnarrt wunderbar. Präsentester Sound ist hier natürlich das Keyboard und vor allem die Orgel. Der Gesang ist unglaublich souverän und vielseitig, wenn auch fast nie schöngeistig.

 

Beardfish sollten sich nach 2009 natürlich nochmals umorientieren und beschlossen, mit dem Nachfolger Mammoth ein leichter zugängliches Werk zu veröffentlichen. In der Tat stellt Destined Solitaire bis heute eine Ausnahme dar, denn kein Werk der Band war vorher oder nachher so abgefahren und vielseitig. Dabei muss man auch nicht mal jeden Song lieben oder schön finden (schön im eigentlichen Sinne ist hier kaum etwas, aber davon nicht abschrecken lassen). Aber das Gesamtwerk ist schon beeindruckend, besonders, wenn man bedenkt, dass dieses scheinbare Chaos mehr Struktur aufweist als man denkt, und im Endeffekt irgendwie doch einheitlich wirkt.

Also her mit den Pillen, den Kopfhörern und rein in das Hirn eines Schizophrenen (?).

 

Bewertung:

 

Vergleichbar mit: 

Genesis, Yes, King Crimson, Pink Floyd, Frank Zappa, The Flower Kings, Soft Machine, Pain Of Salvation, Haken, Spock's Beard, Canterbury.. So ziemlich der halbe Progressive Rock Dunstkreis plus Mumford & Sons und Spielchen wie Chansons, Growls, Swing, Wiener Walzer, Reggae, Rap, Fusion u.Ä. ... und am Ende doch nur mit Beardfish. Das macht diese Band so gut.

 

 

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Kommentare

Klingt vielversprechend :)

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Mit denen muss ich mich wohl auch noch genauer beschäftigen. Ich kenne Beardfish bisher nur vom Namen her. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es einfach zu viel hörenswerte Musik gibt. Wobei, eigentlich kann es an guter Musik gar nicht genug geben. :)
Zum Thema Zheul und Avantgarde-Prog: In dem Gebiet gilt für mich, je schräger und skurriler, desto interessanter. Ich bin häufig auf der Suche nach innovativer Musik, die vorher noch nie in der Form gehört habe. Ich höre also gerne solchen abgefuckten Kram, aber nicht nur. Ich brauche zugleich irgendwie immer ein Kontrastprogramm mit gewöhnlicherer Musik. Damit meine ich z.B. konventionellen Prog oder anspruchsvolle Popmusik.

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